Stellingen. Ich weiß nicht, was Sie so über die Schöpfungsgeschichte denken. Gerade kurz vor Weihnachten macht man sich ja gerne seine Gedanken dazu. Als Biologin evangelischen Glaubens habe ich mir meine ganz persönliche Theorie gezimmert, die zwar eine naturwissenschaftliche Schlagseite hat, jedoch die Existenz eines Gottes durchaus mit einbezieht. Und ohne jetzt zu sehr in die Tiefe gehen zu wollen, bin ich von einer Sache fest überzeugt: Als Gott die Kugelfische schuf, hatte er einen verdammt guten Tag.

Pieks ist das lebende Beispiel dafür. Der Langstachel-Igelfisch, der zur Ordnung der Kugelfischverwandten zählt, ist eine der skurrilsten Kreaturen, die in Hagenbecks Tropenaquarium zu finden sind. Mit seinen riesigen Augen, der kantigen Körperform, einer Schwimmweise, die an eines dieser Plastik-Aufziehtiere für die Badewanne erinnert, und vor allem seiner Fähigkeit, sich bei Störung oder Gefahr zu einer stacheligen Kugel aufzublasen, hätte ihn kein Comiczeichner besser ersinnen können. Kein Wunder, dass es ein Kugelfisch zum heimlichen Star in "Findet Nemo" brachte: Der dauernervöse Puff musste sich dort immer Fahrstuhlmusik vorsummen, um nicht schon wieder zu explodieren.

Welche Taktik Pieks anwendet, ist bisher nicht bekannt. "Aber wir werden viel gefragt, ob er sich denn schon aufgebläht habe", sagt Tierpflegerin Heidi Rohr. Tatsächlich hat sie dieses Verhalten, bei dem die Stacheln der Tiere abgestellt werden und sie mit dem vergrößerten Körpervolumen auch nur noch von recht großen Fischen zu schlucken sind, erst ein einziges Mal bei Pieks beobachtet. "Während alle Besucher davon total begeistert waren, habe ich mich nur gefragt, was ihn so gestresst hat", sagt Rohr. Herausgefunden hat sie es nicht, und seitdem hat Pieks auch keine großen Wassermengen mehr in sich hineingepresst.

Drei Jahre lebt der Fisch, von dem die Tierpfleger nicht sagen können, ob es sich um ein Männchen oder ein Weibchen handelt, jetzt schon in Hamburg. Lange Zeit hatte er in Drückerfisch Picasso einen engen Freund gefunden - die beiden zogen unzertrennlich nebeneinander ihre Bahnen in dem Becken, dass sie unter anderem mit den Bambushaien teilen. Doch seit zwei Monaten ist alles anders: Da kam Stachel, ein zweiter Langstachel-Igelfisch. Mit zehn Zentimetern gerade einmal halb so groß wie Pieks, hängte sich der schüchterne Neuzugang umgehend an seinen großen Verwandten. Seitdem gibt es sie nur noch im Doppelpack.

Langstachel-Igelfische leben vor den Küsten des Indopazifiks, Ost- und Westatlantiks. Dort bewohnen die bis zu 45 Zentimeter großen Tiere Korallenriffe. Sie ernähren sich vorwiegend von kleinen, im Meeresboden versteckten Schalentieren, die sie durch kräftiges Pusten freilegen. Mit ihren Zahnplatten im Mund und einer extrem kräftigen Kiefermuskulatur knacken sie die Schalen - ein Grund, warum Heidi Rohr immer gut auf ihre Finger aufpasst, wenn sie Pieks aus der Hand füttert.

Der liebt besonders "Garnelen mit Kopf", sagt die Tierpflegerin. "Dann kommt er sofort angeflitzt." Wobei flitzen bei Igelfischen relativ ist: Eigentlich zeichnen sie sich auch durch ihre langsame Schwimmweise aus. Sie selbst zu verzehren ist einigen Menschen bereits zum Verhängnis geworden: Viele Kugelfischartige sind für ihr starkes Nervengift, das Tetrodotoxin, berühmt-berüchtigt, und so gibt es in Japan extra ausgebildete Köche, außer denen in guten Restaurants niemand Kugelfisch zubereiten darf.

Im Freiland sind Igelfische sehr gefährdet, da sie als Attraktion für Touristen gefangen werden. Präpariert und aufgeblasen findet man sie in Hafenspelunken und auf Märkten - angeblich verdienen viele einheimische Fischer in den Touristenländern damit mehr Geld als mit der Fischerei.

Pieks hat dieses Schicksal nicht zu fürchten und zeigt sich äußerst neugierig und zutraulich gegenüber Besuchern. Besonders an der rechten Seite des halbrunden Beckens ist er häufig zu sehen. Nur gen Abend kann es sein, dass er sich plötzlich verzieht. "Er schläft in einer der kleinen Mördermuschel-Schalen, die am Grund des Beckens liegen", verrät Heidi Rohr.

Hier ruht er dann, diese Laune der Schöpfung, wie in Abrahams Schoß.

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