Wir brauchen beides, um den Mangel an Fachkräften aufzufangen. Die SPD-Politikerin plädiert auch für ein Zuwanderungsgesetz mit einem Punktesystem wie in Kanada

Problem erkannt - Problemlösung vertagt. Die Koalition ist uneins darüber, ob mehr ausländische Fachkräfte zu uns kommen sollen. Dabei sind die Fakten alarmierend: Schon im Jahr 2015 dürften rund eine Million Hochschulabsolventen und 1,3 Millionen Fachkräfte fehlen. 300 000 Altenpfleger werden benötigt. Die Arbeits- und Sozialministerin will den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern. Die CSU stemmt sich dagegen. Mehr Ausländer seien angesichts der immer noch fast drei Millionen deutschen Erwerbslosen unnötig. Auch die SPD setzt eher auf die Förderung und Qualifizierung der Schul- und Berufsschulabgänger hierzulande.

Wir brauchen beides! Nicht "Bildung statt Zuwanderung, sondern Bildung und Zuwanderung". Und zwar rasch. "Die Politik denkt, wir beschreiben ein Szenario in fünf Jahren, aber wir stecken schon mittendrin", sagte kürzlich ein Experte der Pflegebranche. Was also tun? Erst mal schauen, wo der Mangel am deutlichsten spürbar ist. Es geht nicht um Wissenschaftler, Spezialitätenköche, Profisportler. Die dürfen ohnehin kommen. Es geht um Fachkräfte im Metallbereich, Ingenieure, Techniker, Ärzte. Nach den Regeln des Aufenthaltsgesetzes können Migranten aus Drittstaaten befristet als Arbeitnehmer oder Selbstständige hier tätig werden. Aber die Hürden sind hoch.

So müssen Hochqualifizierte nachweisen, dass sie mindestens 66 000 Euro jährlich verdienen. Diese Grenze kann abgesenkt werden. Für jede angebotene Stelle müssen die Arbeitsagenturen zunächst nach einem inländischen Bewerber Ausschau halten. Das ist richtig und muss auch so bleiben, aber eine solche "Vorrangprüfung" kann kürzer dauern, zum Beispiel nur drei Wochen. Außerdem sollten ausländische Studienabsolventen nicht nur ein Jahr, sondern mindestens zwei Jahre Zeit haben, um einen geeigneten Job zu finden. Über all das wird gestritten.

Nicht mehr strittig ist, dass die Berufsabschlüsse bereits hier lebender Ausländer anerkannt werden müssen.

Das hätte längst geschehen sollen. Dass Ärzte aus Russland als Reinigungskräfte, Ingenieure aus dem Iran als Taxifahrer arbeiten, kann nicht zum Dauerzustand werden! Mit anderen Worten: Erleichterte Arbeitsmigration muss gekoppelt sein an eine Förderungsoffensive für die Einwanderer, die längst hier leben - und selbstverständlich auch für die 1,5 Millionen Deutschen ohne Schul- und Berufsschulabschluss. Allerdings: Auch mit umfassenden Qualifizierungsmaßnahmen werden gewiss nicht alle dazu geeignet sein, den wachsenden Bedarf in bestimmten Berufen zu decken.

Kritiker einer großzügiger gehandhabten Zuwanderung warnen vor Lohndrückerei. Klar, viele Unternehmer liebäugeln mit solchen Perspektiven.

Dem müssen Regierung und Parlament entgegenwirken mit einer deutlichen Ausweitung gesetzlich fixierter Mindestlöhne. Im Übrigen: Gewiefte und leistungsfähige Ausländer wissen, welche Gehaltsforderungen sie stellen können.

Als wir in den Jahren vor 2005 am Zuwanderungsgesetz bastelten, war die Einführung eines Punktesystems nach kanadischem Muster schon fast beschlossene Sache. Es war damals nicht durchsetzbar und wurde fallen gelassen. Dass es in absehbarer Zeit wieder belebt wird, ist zu hoffen. In Kanada können Bewerber aus anderen Staaten bis zu 100 Punkte erreichen. Positiv zu Buche schlagen Alter (21 bis 49 Jahre), Ausbildung und gute Sprachkenntnisse. Gesucht werden gar nicht unbedingt Spezialisten für einen bestimmten Industriezweig, sondern lernfähige, vielseitig einsetzbare Leute. Mit diesen Talenten können sie nämlich auch gut bestehen, wenn ihre Firma expandiert oder umrüstet. Das System lässt sich nicht deckungsgleich auf Deutschland übertragen - aber eine kluge Einwanderungspolitik sollte es im Auge behalten.

Und noch etwas: Gesteuerte Zuwanderung wird nur funktionieren, wenn sie in regelmäßigen Zeitabständen überprüft wird. Wie viele ausländische Kräfte sind wirklich notwendig und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt verkraftbar? Hat sich die Lage verändert? In welchen Bereichen ist wirklich Bedarf? Wo ist er gedeckt? Antworten darauf müsste ein von der Regierung berufenes Gremium von Experten aus unterschiedlichen Bereichen geben, ein "Migrationsrat". Solch einen Plan gab es vor Jahren, leider wurde er beerdigt.

Immerhin existiert ein "Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration" unter Führung des renommierten Migrationsforschers Prof. Klaus Bade. Dieses hochrangige Gremium nicht nur als kundige Beobachter hin und wieder zu befragen, sondern wirklich am politischen Entscheidungsprozess zu beteiligen - das wäre eine gute Tat.