Der Mann ist streitbar, ganz bestimmt. Schon von Berufs wegen verbieten sich Zaghaftigkeit und ein schüchternes Auftreten. Schließlich ist Reiner B. Rechtsanwalt. Doch auch in eigener Sache ficht der Mann gern alles bis zum Ende aus, wenn er sich im Recht sieht, zur Not gegen alle Widerstände. Es sei "eine Sache des Prinzips", findet der 73-Jährige und reckt kampfeslustig das Kinn. Für ihn scheint es auch eine Frage der Ehre zu sein.

Und so weigert sich der Hamburger partout, einen Bußgeldbescheid zu akzeptieren, über 15 Euro nur, wegen zu schnellen Fahrens. Viel lieber legt er Einspruch ein, mobilisiert die Justiz und kostspielige Gutachter, die seine Unschuld belegen und feststellen sollen - koste es, was es wolle. Hoch motiviert und mit Verve stemmt der Hamburger sich jetzt vor dem Amtsgericht gegen den Vorwurf, er sei im April mit seinem Wagen an der Osdorfer Landstraße Tempo 56 gefahren und damit sechs Kilometer pro Stunde mehr als erlaubt.

Die Tücken der Technik, sie sind dem Herrn in der sportlichen Jacke und mit dem grau melierten Haarschopf offenbar ein Graus. Ein Foto aus einer Blitzampel mit eingeblendeten Messdaten? Nicht die Spur überzeugend, findet Reiner B., auch wenn im Vergleich zu dem tatsächlich gemessenen Tempo 59 schon drei Kilometer pro Stunde als "Toleranz" zugunsten des Fahrers abgezogen wurden.

Das Gerät könne ungenaue Werte anzeigen und sei damit wenig aussagekräftig. Lieber verlässt sich der 73-Jährige auf seine eigene Wahrnehmung. Er habe nämlich unmittelbar, nachdem er geblitzt wurde, "sofort auf den Tacho geschaut, und demnach bin ich nur 50 gefahren", trumpft Reiner B. auf und hat Zeugen benannt, die seine Aussage bestätigen sollen.

Auch den Tacho seines Wagens hat der streitbare Anwalt Reiner B. im Verdacht, die Geschwindigkeit nur ungenau anzuzeigen. Deshalb hat er ein Gutachten in Auftrag gegeben, das seine Theorie untermauern soll. Doch die Sachverständigen-Expertise, die immerhin mit mehr als 500 Euro zu Buche schlägt, belegt genau das Gegenteil dessen, was er sich erhofft hat: Zwar gebe es einen geringfügigen Fehler, doch der wirke sich zugunsten des Fahrzeugbesitzers aus, heißt es dort. "Auch eine behauptete Trägheit des Tachos kann nicht festgestellt werden."

Ob Reiner B. noch darauf bestehe, möchte der Amtsrichter jetzt wissen, an einem Antrag festzuhalten, den er bei einem früheren Termin noch angedroht hatte. Dass nämlich der Amtsrichter sich höchstselbst im Wagen ein Bild von der angeblichen Trägheit des Tachos machen solle.

"Der Anzeiger reagiert meiner Ansicht nach zu langsam", insistiert der Anwalt. Der Drehzahlenmesser sei viel besser auf Zack. "Laut Ihrem Antrag ist der Tacho nur 'widerwillig'", erinnert der Richter. "Doch 'widerwillig' ist nach meiner Einschätzung eher eine Persönlichkeitsnote."

Ob dieser Argumentation scheint Reiner B.s Widerstand zu verpuffen, die Körperspannung erschlafft merklich, die Kampfeslust ist verraucht. Der 73-Jährige erkennt, dass es manchmal doch besser ist, nicht mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Was er denn jetzt machen solle, fragt er, nun deutlich zaghafter, den Amtsrichter um Rat. Der zeigt die üblichen Möglichkeiten auf. Der Anwalt könne auf ein Urteil bestehen, er könne jedoch auch den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurücknehmen und die 15 Euro akzeptieren. "Ja, geht das denn noch, so kurz vorm Ziel?", fragt der Hamburger und schmückt damit seine Prinzipien noch mit einer sportlichen Note. Doch die Erkenntnis hat sich bei dem Mann durchgesetzt, dass die Technik eventuell doch bessere Argumente liefert als sein Gefühl - und Reiner B. akzeptiert den Bußgeldbescheid.

"Kaufmännisch", gibt der Richter am Ende zu bedenken, seien die Beharrlichkeit und insbesondere das teure Gutachten "ja nicht so gut durchdacht gewesen. Wie oft hätten Sie von dem Geld, das das gekostet hat, schon 15 Euro abzweigen können?" Reiner B. bleibt eine Antwort schuldig. Eiligen Schrittes verlässt er das Gericht.