Zwei Angeklagte müssen sich wegen einer brutalen Attacke auf Polizisten verantworten. Ein Beamter leidet noch heute unter den Folgen der Tat

Neustadt. Sein Gesicht war zerschmettert, damit die Knochen wieder zusammenwachsen können, haben ihm die Ärzte eine Schiene eingesetzt. An manchen Tagen sind die Schmerzen kaum zu ertragen. "Ohne Medikamente geht's dann nicht", sagt Günther J. Vier Monate war der Polizist krankgeschrieben, erst seit sechs Wochen arbeitet er wieder - allerdings nur im Innendienst.

Günther J. war am 26. Juni bei einem Polizeieinsatz schwer verletzt worden. Ein Einsatz, der zu einem Gewaltexzess geworden war und Neuwiedenthal als Hort der Jugendgewalt ins Gerede brachte. Am schlimmsten hatte es Günther J. erwischt: Ein Mann hatte ihm im vollen Lauf wuchtig ins Gesicht getreten. Beinahe wäre er auf einem Auge erblindet.

Der mutmaßliche Täter steht seit gestern wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Landgericht: Amor S., 32. Lächelnd begrüßt er seine Freunde im Zuschauerraum, neben ihm auf der Anklagebank sitzt ein untersetzter, junger Mann mit Trainingsjacke, Kinnbart und rasiertem Schädel - Avni A. Der 24-Jährige soll beim Angriff auf die Staatsgewalt einem weiteren Beamten in den Rücken gesprungen sein.

Nach einem Einsatz am S-Bahnhof Neuwiedenthal habe sie eine Gruppe Jugendlicher provoziert, sagt Günther J. Einer von ihnen, Mattheus W., 27, habe sein Genital aus der Hose geholt und mit der Hand obszöne Bewegungen gemacht. Die zwei Polizisten sehen noch, wie er in ein Blumenbeet uriniert, sie wollen seine Personalien aufnehmen. Doch der Mann, angetrunken und kräftig, widersetzt sich. Was dann passiert, dazu schweigt Günther J. vorerst. Um sich nicht selbst zu belasten. Der Grund: Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung im Amt. Die Lücke füllt ein Video, das gestern im Gerichtssaal abgespielt wird. Jemand hat mit dem Handy gefilmt, wie Günther J. mehrfach mit dem Schlagstock auf Mattheus W. einschlägt. Einer schreit: "Lass ihn in Ruhe, der ist doch außer Gefecht." Immer mehr junge Leute scharen sich um die Polizisten, bepöbeln sie als "Faschisten" und "Bullenschweine".

Die Atmosphäre ist hochexplosiv. Noch mehr Polizisten treffen in Neuwiedenthal ein, auch die Jugendlichen rüsten auf. "Plötzlich standen wir 40 gegenüber", sagt Günther J. Flaschen und Steine prasseln auf sie nieder, es hagelt Tritte und Schläge. Die Beamten reagieren mit Schlagstöcken und Pfefferspray. Auch der Bruder von Amor S. mischt mit. Günther J. bringt ihn zu Boden, laut Anklage soll der junge Mann gerufen haben: "Hilfe, Hilfe, der erwürgt mich!" Darauf soll Avni A. einem Kollegen in den Rücken gesprungen sein. "Ich hörte: 'Jetzt geht's rund', dann spürte ich einen dumpfen Schlag, mein Kopf flog zur Seite", sagt er.

Den Mob zu stoppen, das gelingt erst einem Aufgebot von 30 Polizisten. Sie nehmen 17 Verdächtige zwischen 15 und 32 Jahren fest, fünf Beamte kommen in die Klinik.

Zum Vorwurf lässt sich der mehrfach vorbestrafte Amor S. gestern nicht ein. Ist er unschuldig, wie sein Verteidiger durchblicken lassen will? "Mein Mandant hat deeskalierend agiert", sagt Uwe Maeffert, Amor S. habe sich "nichts vorzuwerfen". Im Übrigen ginge es "nicht nur um Gewalt gegen Polizisten, sondern auch um Gewalt durch Polizisten". Und dann knöpft sich der Anwalt noch die Staatsanwaltschaft vor. "Nicht einen einzigen Tag hätte mein Mandant in Untersuchungshaft sitzen dürfen", sagt er. Ein Staatsanwalt habe ihm versprochen, dass man die Aufhebung des Haftbefehls beantragen werde, sollte Günther J. innerhalb von 14 Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden. Der Polizist verließ die Klinik nach acht Tagen, Amor S. aber nicht die Haftanstalt. Maeffert: "Die Staatsanwaltschaft ist wortbrüchig geworden."

Auch Avni A. bestreitet den Vorwurf. Der 24-Jährige reagiert gereizt auf die Nachfragen der Vorsitzenden Richterin, der jedes Quäntchen Erinnerung an das Geschehen hören möchte. Doch bei Avni A. ist da nicht viel zu holen. Er habe Sirenen gehört und mit etlichen anderen zugeschaut. "Ich wollte nach Hause gehen, doch da hat mir auch schon jemand Pfefferspray ins Gesicht gesprüht", sagt der Angeklagte. Und meist lautet die Antwort auf die Fragen der Richterin: "Keine Ahnung." Der Prozess wird fortgesetzt.