Alle sprechen über das Wetter. Dabei kommt der richtige Winter erst noch. Sieben Miniaturen aus einer verwandelten Stadt

Es ist eine uralte Weisheit über die Weißzeit: Der Winter lässt die Menschen zusammenrücken. In verschneiten Zeiten rückt unsere persönliche Autofahrer-Unabhängigkeit auf einen der unteren Plätze der Prioritätenskala. Wir wollen schließlich irgendwann mal ankommen und steigen um in die Bahn. Und da stehen wir dann dicht an dicht gekuschelt mit wildfremden Menschen.

Tage wie gestern sind gute Tage für den Hamburger Verkehrsverbund (HVV). Montag hatten starke Schneefälle schon ab mittags den Autoverkehr auf Hamburgs Straßen teils lahmgelegt. Nach zu vielen Stunden im Stau hatten die Menschen wohl die Nase voll vom Warten auf Weiterfahrt und stiegen auf öffentliche Verkehrsmittel um. Die Bahnen gen Innenstadt waren am morgen proppenvoll. "An gewöhnlichen Tagen zählen wir durchschnittlich zwei Millionen Fahrgäste pro Tag in Bussen und Bahnen", sagt HVV-Sprecherin Gisela Becker. Gestern seien es eine halbe Million Menschen mehr gewesen. "Es gab nur wenige Verspätungen", sagte Hochbahn-Sprecherin Maja Weihgold. "Es lief richtig glatt."

Für manchen Hamburger läuft es in diesen Tagen sogar noch glatter. Da kommt es zu Fällen, die man ganz tief südlich der Elbe mit "Da legst di nieder" umschreiben könnte. Die medizinische Diagnose klingt anders. Prellungen, Unterarmfrakturen, Rippenbrüche. "Da sind die häufigsten Verletzungen während der Eiszeit", sagt Mathias Eberenz, Sprecher der Asklepios-Kliniken. In den Notaufnahmen staue es sich zwar noch nicht wie auf mancher ungestreuter Straße, doch der (Patienten-)Verkehr habe durchaus zugenommen.

Allein in der Notaufnahme der Asklepios-Klinik St. Georg, wo im Schnitt täglich 100 Patienten behandelt werden, sei heute "mindestens eine Handvoll mehr" eingeliefert worden. Es brechen also Zeiten an, in denen man hofft, dass es nicht allzu glatt läuft. Jedenfalls nicht auf Straßen und Bürgersteigen.

Der Winter ist auch Konjunkturprogramm, denn Schlitten sind derzeit knapp in den Geschäften. "Die Leute warten schon auf die nächste Lieferung", sagt Mirco Wiechmann, Abteilungsleiter bei Karstadt an der Mönckebergstraße. Bis zu 30 Schlitten werden pro Stunde verkauft. Bei Globetrotter können die Hersteller schon nicht mehr nachliefern. Ähnlich verhält es sich mit Streugut, Enteiser und Schneeschiebern. Simone Naujoks, Sprecherin von Max Bahr: "Im Vergleich zum Vorjahr haben wir bisher 14-mal mehr Streugut verkauft, bei Schneeschiebern 20-mal mehr." Auch die Nachfrage nach Winterreifen sei wieder gestiegen, sagt Carmen Behlau von Reifen Pio in Winterhude. Nun sind die Lager fast leer gefegt und bestimmte Reifengrößen kaum noch verfügbar.

Ein Winterchaos zu verhindern, das ist der Job der 120 Streuwagenfahrer und der anderen 620 Winterdienstmitarbeiter, die alle in Rufbereitschaft sind. Bei Glätte rücken die Streuwagenfahrer aus - nach dem immer gleichen Plan. Sie fahren in einer ersten Stufe alle Hauptverkehrsstraßen und Strecken der Buslinien ab. Das dauert mindestens dreieinhalb Stunden. Denn auch Streuwagen stehen bei Schnee mal im Stau. In der zweiten Stufe werden dann die Verbindungsstrecken zwischen den Hauptverkehrsstraßen gestreut. Auch das dauert mindestens drei Stunden. Wer es ganz genau wissen will, der kann im Internet im sogenannten Streuverzeichnis ( www.stadtreinigung-hh.de ) nachsehen. Und dann gibt es noch all die Zebrastreifen, Mittelinseln und Zusatzstrecken auf wichtigen anliegerfreien Gehwegen, all die Radwege und Bushaltestellen - um die kümmern sich die übrigen 620 Räumprofis der Stadtreinigung.

Leider kracht es jetzt auch öfter. Am Montag zählte die Polizei in der Zeit von 12 bis 20 Uhr 400 Unfälle. Das sind etwa 50 Prozent mehr als sonst. Am Dienstagvormittag waren es 75 Unfälle, etwa ein Drittel mehr als sonst.

Es soll aber auch Menschen geben, die sich einfach nur am Winter erfreuen. Manchmal ist es so verlockend, dass man auch als Erwachsener so richtig zugreifen will - und es auch tut, wenn schöner Neuschnee sich auf Autodächer und Bürgersteige legt. Ein wenig klebrig ist er, aber noch nicht matschig. Leicht, aber nicht noch pulverig. Und flugs mit der Hand geformt, schneller, als man manchmal nachdenkt, greift das Unbewusste in uns zu. Man kann gar nicht anders. Zwei-, dreimal gepresst, ein wundervolles Gefühl in der Hand: Erinnerung an Kindheit und Schulhof - und dann: watsch! Volltreffer am Kollegen! Funktioniert noch. Patschh!! Da ist die Replik. Und wieder zurück, die Zeit muss ausgenutzt werden: Morgen sind wir wieder erwachsen, morgen kann schon alles vorbei sein. Ist es aber nicht.

Dafür wird es in den kommenden Tagen mehr Gelegenheiten geben. Laut Clemens Grohs, Diplom-Meteorologe vom Hamburger Institut für Wetter- und Klimakommunikation, wird der heutige Tag ein sogenannter Dauerfrosttag mit Höchsttemperaturen von minus einem Grad Celsius und ein bisschen Sonnenschein und ein paar Flocken. Am Donnerstag soll es dann für Autofahrer wieder ungemütlich werden. Zwischen 4 und 5 Uhr setzt der Schneefall ein, prognostiziert Grohs. Bis zum frühen Nachmittag steigen die Temperaturen auf bis zu drei Grad plus. Der Schnee auf der Straße werde tauen und sich in Matsch verwandeln. "Das wird eine rutschige Angelegenheit."

Die gute Nachricht zum Schluss: Die Weiße-Weihnacht-Wahrscheinlichkeit liegt bei 50 Prozent. Immerhin.