Heroinabhängige werden immer älter, aber spezielle Alten- und Pflegeeinrichtungen gibt es für suchtkranke Menschen noch nicht.

Hamburg. Bernd ist heroinabhängig und nimmt das Medikament Methadon, das ihm als Ersatz für den Drogenkonsum dient. Er ist seit Jahren Schmerzpatient. Seine Füße brennen, er kann nicht lange stehen, und er hat starke Spannungen in den Beinen. Bernd ist 47 und Rentner. Er sieht nicht aus wie ein alter Mann, aber seine langjährige Drogensucht, seine Schmerzen sind ihm anzusehen. 47 Jahre, das ist für einen Drogenabhängigen schon ein hohes Alter. Die meisten sterben vorher. Wenn diese Menschen alt- und pflegebedürftig werden, gibt es in Hamburg für sie keine entsprechenden Einrichtungen. Noch nicht. Die zuständige Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz (BSG) hat vor diesem Hintergrund bei der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen eine Studie in Auftrag gegeben. Diese befasst sich mit der Situation älterer Konsumenten illegaler Drogen und den zukünftigen Anforderungen an Versorgungskonzepte in der Sucht- und Altenhilfe. Die Ergebnisse liegen dem Abendblatt exklusiv vor.

In den 70er- und 80er-Jahren starben die Drogenkonsumenten zu 90 Prozent an Überdosen. Heute überleben viele mit Drogenersatzmitteln wie Methadon. "Dank besserer Medikamente und einem besseren Drogenhilfesystem wird die Lebenserwartung von Drogenabhängigen immer höher", sagt Theo Baumgärtner, verantwortlich für die Studie. Die Abhängigkeit lässt die Betroffenen aber "biologisch voraltern". Gesundheitliche Probleme, die sonst mit 70 Jahren auftreten, haben diese Menschen schon mit 40. Hamburgweit gibt es um die 1900 Opiatabhängige (zum Beispiel Heroin), die in ambulanter Betreuung und älter sind als 45 Jahre. Für das Jahr 2018 sagen die Autoren der Studie voraus, dass es fast 14 000 drogenabhängige Menschen geben wird, die älter sind als 45.

Das hört sich so jung an. Aber: "Drogenkonsumenten brauchen oft schon mit Mitte 40 Pflege", sagt Waltraut Campen vom Malteser Nordlicht, einer Übergangseinrichtung für drogenabhängige, obdachlose Männer. "Wir haben viele Klienten, die ohne Hilfe in einer Wohnung nicht zurechtkommen. Die brauchen Unterstützung." Im vergangenen Jahr haben in ihrer Einrichtung 58 Klienten im Alter zwischen 40 und 59 Jahren Hilfe in Anspruch genommen. Wie stark ein Abhängiger voraltert, hänge mit dem Konsum unterschiedlicher Substanzen und mit dem stressigen Leben auf der Straße und in der Drogenszene zusammen.

Bernd übernachtet beim Malteser Nordlicht in Bahrenfeld zunächst für drei Monate in einem Zwei-Bett-Zimmer. Auf der Straße könnte er nicht mehr leben. "Ich brauche wegen meiner schmerzenden Beine spezielle Matratzen. Eine Nacht auf dem Boden, und ich würde auf der Intensivstation landen", sagt er. Seine Drogengeschichte begann mit 17 Jahren. Erst konsumierte er Cannabis. Mit 19 Jahren begann Bernd eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Zu dieser Zeit kam er mit Heroin in Berührung: "Viele Krankenhausmitarbeiter von damals, die Schichtdienst hatten, haben Heroin genommen, um das durchzustehen", sagt er. Drei Jahre lang ging das gut: "Wir waren ja die Schlauen, dachten das im Griff zu haben." Er hatte es nicht im Griff. Auf die psychische Abhängigkeit folgte die körperliche. Er ging mehrmals auf Entzug, aber Bernd wurde immer wieder rückfällig. Fünf Jahre schaffte er es, zwischendurch clean zu bleiben. Die Folgen seiner Sucht, sie schlagen jetzt im Alter richtig durch: Viele Drogenabhängige wie er haben laut der aktuellen Studie Hepatitis und HIV. Hinzu kommen häufig Probleme mit den Lungen oder mit dem Herz-Kreislauf-System, Zahnprobleme, manchen müssen Gliedmaßen abgenommen werden.

Ältere Menschen mit Drogenproblemen sind unter anderem oftmals in Substitution und medizinischer Versorgung, sie konsumieren häufig zusätzlich Alkohol und Beruhigungsmittel, leiden unter gravierenden körperlichen Problemen. Häufig sind sie schwerbehindert und haben mit erheblichen psychischen Belastungen zu tun.

Waltraut Campen: "Diese Menschen brauchen eine besondere Pflege. Die jetzigen Hilfsangebote für Drogenkonsumenten in diesem Alter sind nicht ausreichend."

Bisher sind die bestehenden Alten- und Pflegeheime nicht auf Junkies eingestellt. Pflegen und Wohnen betreibt das Haus Öjendorf, eine Einrichtung speziell für ältere Alkohol- oder Medikamentenabhängige, aber nicht für Abhängige illegaler Drogen. Bei Pflegen und Wohnen heißt es: "Solange Drogen konsumiert werden, haben wir keinen Platz. Meistens werden diese Drogen ja auch illegal beschafft." Genau dort liegt die Schwierigkeit: "Das Problem ist, dass die Pflegeheime den Drogenkonsum akzeptieren müssen", sagt Rainer Schmidt von der Palette-Drogeneinrichtung. Wer 20 oder 30 Jahre lang Drogen nimmt, komme davon nicht mehr los. "Die Frage ist: Wie kriegt man Pflegeeinrichtungen dazu, mit Suchtgeschichten umzugehen."

Nun in Aktionismus zu verfallen und neue Einrichtungen für ältere Drogenabhängige aufzubauen sei nicht der richtige Weg, meint Theo Baumgärtner: "Man muss schauen, wie und an welchen Stellen die Angebote der bestehenden Systeme bedarfsgerecht aufeinander abgestimmt werden können." Alten- und Drogenhilfeeinrichtungen sollten enger miteinander kooperieren. "Die Fachkräfte aus beiden Bereichen müssen in Zukunft stärker für die Probleme der jeweils anderen Klientel sensibilisiert und qualifiziert werden."

Das Thema Altern wird von den in der Studie befragten Abhängigen meistens tabuisiert. "Auffallend viele der älteren Drogenabhängigen äußerten ihre Überzeugung, lieber Selbstmord zu begehen als in einem Pflegeheim zu enden", heißt es in der Studie.

Bernd könnte sich eine ambulante Pflege für später durchaus vorstellen, zunächst aber hat er andere Pläne: Er möchte wieder arbeiten, ein paar Stunden in der Woche. Aber er ist skeptisch: "Ob ich in zehn Jahren noch laufen kann, weiß ich nicht."