Diakonie präsentiert eine Studie, in der Betroffene ihre Sicht zeigen können. Sie kritisieren die Politik und die Arbeitsagentur

Hamburg. Kyra ist 64 Jahre alt. Sie ist Anwalts- und Notargehilfin. Sie hat gute Zeugnisse. Aber keinen Job. Sie lebt von 359 Euro. Jurand Daszkowski ist Arzt. Er kommt aus Polen. Er ist 53 Jahre alt. In Deutschland bekommt er Hartz IV. Almut H. ist Soziologin und Studienberaterin. Vor 15 Jahren wurde ihr fristlos gekündigt. Sie ist heute 66 Jahre alt und bekommt 670 Euro Rente.

Drei Menschen in Hamburg, die offiziell als arm gelten. Und über deren Situation in der öffentlichen Armutsdiskussion gern geredet wird. Einer Diskussion, bei der Menschen wie sie zwar Thema sind, aber nicht Teilnehmer. Mit dem Projekt "Armut und Ausgrenzung - Betroffene zeigen ihre Sicht" geben das Diakonische Werk Hamburg und das Institut für Sozialforschung jetzt erstmals Betroffenen die Möglichkeit, ihre Sichtweise öffentlich zu machen. In Werkstattgesprächen wurden Erfahrungen aufgezeichnet und Forderungen formuliert, die jetzt in den politischen Diskurs eingebracht werden sollen.

Die Kritik der Betroffenen geht vor allem gegen die Arbeitsagentur (Arge). Der Umgang sei geprägt von Schikane und Willkür, Gelder würden vorenthalten, Rechte beschnitten. Es finde keine Förderung statt, um eine wirkliche berufliche Zukunft aufzubauen.

Längere Weiterbildungen, die tatsächlich Chancen eröffnen könnten, würden kaum bewilligt, stattdessen gebe es Bewerbungstrainings, die oftmals als sinnlos wahrgenommen würden. Konkret fordern die Betroffenen unabhängige Beschwerdestellen sowie die Überwachung der Arge durch übergeordnete Stellen. Erwerbschancen müssten besser gefördert werden, Fortbildungen sinnvoller sein. Ein 57-jähriger ALG-II-Bezieher hatte zum Beispiel ein Jobangebot als Energietechniker. Die Arge verweigerte die Zusage. Stattdessen wurde der Mann nach Brandenburg zum Gurkensammeln geschickt.

Auch gegen die Stadt erheben die Betroffenen Kritik. Es fehle eine übergeordnete Politik der Unterstützung, die es auch Bürgern mit geringen finanziellen Mitteln ermögliche, innerhalb der regulären Strukturen teilzuhaben. Was das heißt? Einfach nur ein HVV-Ticket bezahlen zu können, vielleicht mal ins Kino zu gehen oder ins Schwimmbad. Für Kyra, Jurand und Almut ist das nicht drin. Bei Kyras Schuhen sind die Sohlen durch. Ein neues Paar kann sie sich nicht leisten. Und selbst die Reparatur ist unbezahlbar.