Darina Mikeladze, 28, aus Batumi (Georgien)

Liebe Hamburgerinnen,

liebe Hamburger!

Fleiß, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit - diese Tugenden zählen an Alster und Elbe etwas. Eine Selbstverständlichkeit? Für mich nicht: Das Aufschieben von Pflichten ist in meiner Heimat die Regel, ebenso wie Verspätungen von Stunden, Tagen, gar Wochen, und überhaupt das vergebliche Warten darauf, dass Versprochenes eingehalten wird.

Ein Beispiel: Einmal saß ich in Georgien im Linienbus - und musste zwischendurch eine halbstündige Reisepause hinnehmen, weil der Fahrer am Straßenrand einen Kumpel gesichtet hatte und daher prompt anhielt, um ein Pläuschchen zu halten. Angesichts des georgischen Mottos "Was du heute kannst besorgen, das verschieb getrost auf übermorgen!" würdet ihr, meine lieben Hamburger, in meiner Heimat auf lange Sicht wohl verrückt werden.

Allerdings: So gut ihr jede Organisation auch hinbekommt, so sehr müsst ihr woanders zwangsläufig Abstriche machen. So finde ich das Leben in Georgien bei aller Unberechenbarkeit reicher - denn hier wird ein großer Wert auf Familie und Freunde gelegt, auf Muße, auf Genuss. Dem stehen in Hamburg viel Stress, Hetze und Sorge entgegen, gerade, wenn's um den Beruf geht.

Jedoch ist diese Regsamkeit sicher auch ein Grund dafür, dass Hamburg wirtschaftlich so erfolgreich ist, auch als Medienstandort. Deshalb übrigens bin ich vor zwei Jahren nach Norddeutschland gekommen, denn als ausgebildete Journalistin hat es mich sehr gereizt, die westliche Art der Berichterstattung kennenzulernen. Was mich an Letzterer besonders fasziniert, das ist ihr Facettenreichtum, gerade in Sachen Kritik - vor der ist in euren Zeitungen und Sendern so gut wie nichts und niemand sicher, wenn's drauf ankommt.

Das ist noch so eine Selbstverständlichkeit. Zumindest in Hamburg. In Georgien leider nicht.

Darina Mikeladze studiert an der Universität Hamburg Medien- und Kommunikationswissenschaften. Aufgezeichnet von Christopher Beschnitt