Eine Stunde sprach der Sportchef des HSV mit der 9a der Erich-Kästner-Stadtteilschule über Essenspläne und Terrorgefahr.

Farmsen. Er wird bereits erwartet. Sehnsüchtig. Vom Fenster aus winken und rufen sie ihm zu, als er über den verschneiten Schulhof läuft. An der Tür zum Klassenzimmer der 9a klebt ein Plakat, selbst gestaltet, das sein Kommen ankündigt. "Herzlich willkommen, Bastian Reinhardt!" steht da in etwas wackeligen Buchstaben geschrieben. Daneben ist das Emblem des HSV aufgemalt. Der Sportchef des Bundesligaklubs ist zu Besuch in der Stadtteilschule am Hermelinweg in Farmsen-Berne. Er wird sich eine Stunde lang den Fragen der 27 Schüler stellen. Für ihn eine willkommene Ablenkung, für die Mädchen und Jungen zwischen 14 und 15 Jahren ohnehin. Zu verdanken haben sie es ihrem Lehrer Karl-Heinz Kleine. Er beteiligte sich am Aufruf des Abendblatts, sich als HSV-Reporter zu bewerben. Minutiös hat sich die Klasse auf den ehemaligen Abwehrspieler vorbereitet. HSV-Fanschals liegen auf dem Pult, Kaffee und belegte Brötchen stehen daneben bereit. In einem Stuhlkreis sitzen die Schüler, Karteikarten auf dem Schoß. Die Jungs tragen vereinzelt ein Trikot. Natürlich vom HSV. Nur einer bekennt sich zum Erzrivalen, zum FC Bayern. Zumindest ist ihm dadurch die sofortige Aufmerksamkeit Bastian Reinhardts sicher. "Und was machst du hier?", fragt er, lächelt den Jungen auffordernd an. Der wird kurz rot, ehe er etwas von "eigentlich ja für St. Pauli" murmelt. Ihre anfängliche Schüchternheit legen die Neuntklässler nach wenigen Minuten ab. Zu groß ist die Verlockung, einem Hamburger Fußballstar eine Frage stellen zu können.

Was er für einen Beruf ergriffen hätte, wäre er nicht Profi geworden, möchte ein Schüler wissen. "Schwer zu beantworten", sagt der 35-Jährige. Er hätte studiert, irgendetwas. Das Abitur machte er in seiner ersten Zeit in Hamburg, am Gymnasium Heidberg, als er auch Nachwuchsspieler war. Aber eigentlich, sagt er, wollte er immer nur das eine: Fußball spielen.

Jede freie Minute bolzte er, die Hausaufgaben erledigte er im Bus auf dem Weg in die Schule. Damals schwärmte er, verrät der HSV-Sportchef auf Nachfrage, für Werder Bremen. "Ich war jung und wusste es nicht besser", entschuldigt er sich. Lieblingsspieler oder Idole hatte er nie so richtig. "Vielleicht Sie selber?", ruft der Junge mit dem Bayern-Trikot dazwischen. Die Revanche für den Seitenhieb zu Beginn. Nein, so selbstverliebt sei er nicht, sagt Bastian Reinhardt. "Und so gut war ich auch nicht." Vor allem die aktuelle Situation beim HSV und seine Karriere sind beliebte Themen bei den Schülern.

Diese Saison sei durchwachsen angelaufen, was nach einer WM nur verständlich ist. Mannschaften wie Dortmund sind frisch, und, ergänzt er: "Ich fürchte, die werden Meister." Ob Coach Armin Veh Fehler gemacht hätte? "Natürlich, kein Mensch ist fehlerfrei." Er selbst auch nicht. Allerdings sei es wichtig, daraus zu lernen und sich zu verbessern. "Ein großer Name zählt nicht, der Wille ist entscheidend." Stillstand, sagt der Sportchef, ist der Beginn eines Abstiegs. Er selbst kämpfte sich von der Dritten Liga mit Hannover 96 über Arminia Bielefeld, wo er den Aufstieg in die Bundesliga, das "Größte überhaupt für einen Fußballer" erlebte, bis hin zum HSV. Bei den Hamburgern ist er angekommen. "Hier stimmt alles. Die Stadt, die Stimmung, das Stadion."

Optimal ist es also für ihn gelaufen, als er nach seinem zweiten Mittelfußbruch ("der schlimmsten Verletzung") zum Ende der Saison 2009/10 seine Karriere beendete - und direkt das Amt des Sportchefs übernahm. "Sind Sie von Ihrer Arbeit begeistert?" Bastian Reinhardt lächelt. "Begeistert? Ja, ich mag sie." Sein Einfluss ist größer, doch als Spieler hatte er etwas mehr Pausen zwischendurch, war viel draußen. "Und ich muss die Fehler von anderen erklären, nicht mehr nur meine eigenen." Freizeit? Die sei kaum vorhanden. "Ich kicke vielleicht einmal die Woche." Und seine Frau möchte ihn auch zu Gesicht bekommen. Aber, fragt ein Schüler, was macht denn eigentlich ein Sportchef? Bastian Reinhardt stockt kurz. Die Antwort zieht sich hin. Die Betreuung der Spieler, der Trainer, Gespräche mit Beratern und dem medizinischen Stab, Treffen mit der Scouting-, und Nachwuchsabteilung, die Arbeit im Vorstand und mit den Medien.

Ein leichtes Raunen ist zu hören. Und die Frage "Wie viel verdienen Sie denn?" ist wohl die logische Konsequenz aus diesem Aufgabenmarathon. Darüber rede er nicht. Ausgesorgt habe er nach Karriereende mit Sicherheit nicht. "Deshalb ist eine Schulbildung enorm wichtig. Das Leben geht schließlich weiter." Und wer will dann schon nur Golf spielen?

Souverän und ausführlich stillt Reinhardt den Wissensdurst der Schüler. Ob er als Profi Döner essen durfte ("Ja, in Maßen"), wer der unangenehmste Gegenspieler gewesen sei ("Giovane Elber"). Eine Frage überrascht ihn jedoch. Danach, wie er die erhöhte Terrorgefahr einschätze. Sorgen, ja, die hat er. "Das ist ein Thema bei uns im Vorstand." Spürhunde könnten zum Einsatz kommen, sogar Spiele abgesagt werden, falls es sich um eine akute Bedrohung handelt. "Davon ist momentan nicht auszugehen." Die Stunde ist schnell vorüber. Mit dem Handy werden letzte Fotos geschossen. Ein Schüler möchte noch etwas wissen: "Spielen Sie nach der fünften Stunde Fußball mit uns?" Bastian Reinhardt schüttelt den Kopf. "Leider keine Zeit." Sein Bedauern klingt ehrlich.