Vier Manager wurden von der Kommunistischen Partei entsandt, um in Unternehmen Erfahrungen zu sammeln. Eine Bilanz vor dem Rückflug.

Die Deutschen sind fleißig und verlässlich. Made in Germany ist ein Qualitätsbegriff auf der ganzen Welt. Sich ein Stück davon abzugucken kann kein Fehler sein. Das bringt unser Vaterland auf dem Wirtschaftssektor noch schneller voran", erklärt Dong Jiang, 42, schlank, Brille, graue Stoffhose, dunkelblauer Pullover. Er ist bereits das sechste Mal in Deutschland und hospitiert diesmal von Mitte Oktober bis Anfang Dezember beim Hamburger Handelsunternehmen Ter Hell, 450 Mitarbeiter, Geschäftsbeziehungen nach West- und Osteuropa genauso wie nach Asien. Insgesamt habe er bislang 38 Länder beruflich bereist, erklärt Dong Jiang. Vor allem in Nord- und Südamerika. In seiner Heimatstadt Shanghai ist er General Manager bei Light Industrial Produkts, einem mit Haushaltswaren handelnden Import- und Export-Unternehmen mit fast 2000 Mitarbeitern. Materialimport, Markenmanagement und Expansion sind seine Bereiche.

Herr Jiang und die anderen drei Delegationsmitglieder aus Shanghai, zwei Männer und eine Frau, wohnen während ihrer Hospitantenzeit im Hotel Holiday Inn an den Elbbrücken. Jeder in einem Appartement. Die Rechnung für die Unterkunft übernehmen ihre Arbeitgeber in der Heimat. Sie wissen, dass sich die Kosten schnell amortisieren werden.

Die vier Topmanager aus Shanghai sind Mitglieder der Kommunistischen Partei (KP), alle verheiratet und haben je ein Kind. Sie wurden aus einer Vielzahl von linientreuen Bewerbern ausgewählt, haben vor Antritt der Dienstreise nach Deutschland mündliche und schriftliche Eignungsprüfungen bestanden sowie einen dreimonatigen Spezial-Vorbereitungskursus absolviert.

Deutsch sprechen sie nicht, jedoch ist ihr Englisch ganz passabel. Sie sind Führungskader in chinesischen Staatsbetrieben mit zum Teil mehreren Tausend Mitarbeitern. Hier in Hamburg sind sie für sechs Wochen Hospitanten in Luftfahrt-, Handels-, Transport- und Logistikunternehmen.

Die Manager aus dem Reich der Mitte wurden von der KP und der Shanghaier Stadtregierung in die Hansestadt entsandt, um bei deutschen Wirtschaftsunternehmen die Augen aufzumachen und die Ohren zu spitzen. Um die Firmen- und Führungskultur, die innerbetriebliche Organisation hier im Westen zu studieren, sagen sie. Sie durchlaufen alle Abteilungen der Unternehmen und lassen sich die Arbeitsabläufe bis ins kleinste Detail erklären. Und machen sich eine Menge Notizen. Wie werden die deutschen Unternehmen gemanagt? Wie ist die Logistik aufgebaut, wie wird geplant und budgetiert? Was gibt es für EDV-Systeme, welche Messen werden besucht, wie gestalten sich die Kundenkontakte? Auf all diese Fragen suchen die vier chinesischen Genossen in den Hamburger Unternehmen nach Antworten. Von Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr. An den Wochenenden haben sie frei.

Wie an vielen Abenden brutzeln die Chinesen auch heute ihr Essen selber. Diesmal im Appartement des Delegationsleiters Zhuorong Liu, 34, dem wohl strammsten Genossen und - wie die anderen meinen - dem besten Koch der vier Chinesen. Herr Liu, ebenfalls in chinesischen Freizeit-Einheitslook - dunkle Stoffhose und blauer Pullover - gekleidet, ist in China General Manager beim an der Börse notierten Logistikunternehmen Shanghai Jiaoyun Bianjie Transportation, einem Konzern mit 20 000 Angestellten. In Shanghai koordiniere er mehr als 600 von den insgesamt 6000 Lkws des Logistik-Giganten, sagt er. In Hamburg hospitiert er beim mittelständischen Familienunternehmen Bursped Speditions GmbH, 400 Mitarbeiter. Bursped besitzt eine 13 500 Quadratmeter große Halle mit 140 Andockstationen für Lkws und schickt täglich 3000 Sendungen mit 1400 Tonnen Gewicht in die Welt.

Warum ausgerechnet er als Jüngster der Gruppe Delegationsleiter ist? "Weil mich meine Parteiführung dazu bestimmt hat", sagt Herr Liu nicht ohne Stolz. "Es ist mir Ehre und Verpflichtung zugleich."

Ohne Hast und mit viel Routine hat der General Manager, dem es in Hamburgs China-Restaurants nicht so richtig schmeckt, in der letzten Stunde auf dem Elektroherd und im Backofen gleich sechs verschiedene Gerichte gekocht: Süßsaure Rippchen, Curry-Rind, Pilze mit Chinakohl, Tofu, Hühnchen und Garnelen. Dazu gibt es stilles Wasser, deutsches Bier und italienischen Rotwein. Yan Chen, 34, Vize-Managerin von Shanghai Jinjiang Shipping, einem expandierenden Logistikunternehmen, hat den Tisch gedeckt, die ersten dampfenden Speisen schon in Schüsseln gefüllt. In ihrem Konzern sei sie zuständig für strategische Planung, Finanzen und Koordination mit den zuständigen Regierungsstellen, sagt Frau Chen, während sie gesalzene Erdnüsse anbietet. In Hamburg hospitiert sie beim Schiffsmakler Toepfer Transport GmbH.

Die ganze Runde wartet nur noch auf Zenghui Pang, 37, Deputy Director der Hongqiao International Airport Company. Der gedrungene Chinese hat am Hamburger Flughafen, wo er hospitiert, gerade erst Feierabend gemacht, doch ist bereits auf dem Weg zum Hotel. Mit Bussen und Bahnen.

Die Heizungen im Appartement sind alle auf höchste Stufe gestellt. Die eisige Kälte draußen sind die Chinesen nicht gewohnt. Im Fernsehen läuft ein Sender des chinesischen Staatsfernsehens. An der Wand unter dem Spiegel steht eine ganze Batterie von leeren Plastik-Bierflaschen. Draußen auf der Autobahn rast laut dröhnend der Feierabendverkehr vorüber.

Was ist außer Größe und Einwohnerzahl der prägnanteste Unterschied zwischen Hamburg und Shanghai? "Wäre Hamburg ein Mensch, er wäre ziemlich alt, behäbig und zufrieden. Shanghai dagegen ist jung und ungestüm, bewegungs- und experimentierfreudig", sagt Frau Chen. "Shanghai ist sonnig und warm, Hamburg kalt und dunkel", sagt Herr Jiang. "In den deutschen Nachrichten ist momentan der Terror ein beunruhigendes Dauerthema, das ist bei uns in Shanghai ganz anders", ergänzt Herr Liu. "Bei uns gibt es keinen Terror. Wir haben so etwas zum Glück nicht. Aber ich finde es gut, wie offen und ehrlich die Bevölkerung von der Politik aufgeklärt wird."

Dann endlich kommt auch der verspätete Herr Pang vom Flughafen. Er tauscht schnell den dunkelblauen Business-Anzug gegen Jeans und gestreiftes Hemd ein. Nach dem Essen am runden Tisch in Herrn Lius Appartement im dritten Stock wollen die asiatischen Manager früh ins Bett. Am nächsten Tag steht für die vierköpfige chinesische Partei- und Wirtschaftsdelegation ein Prag-Besuch an. Die Karlsbrücke ist ein gutes Fotomotiv, das Bier sogar noch besser als das deutsche. So viel haben sie bereits in Erfahrung gebracht. Auch in Berlin, Bremen, Lübeck und Amsterdam waren sie an den vergangenen freien Wochenenden schon. Das Mauer-Museum besichtigen, ein Bundesligaspiel angucken, eine Porzellanfabrik besuchen, durch den Rotlichtbezirk marschieren. In Hamburg waren sie ein paar Mal knusprige Schweinshaxe essen. Schon die Reeperbahn gesehen? Alle nicken und lächeln.

"Die Arbeit ist spannend und macht viel Freude, aber wenn wir schon hier sind, wollen wir an den freien Wochenenden auch mal über den Tellerrand gucken und was sehen von der westlichen Welt", sagt Frau Chen in die Runde lächelnd. Alle am Tisch lächeln mit, nicken ihr zu und trinken noch einen letzten Schluck. Dann gehen sie schlafen.

Die vier Topmanager sind über das vor drei Jahren auf Initiative der Shanghaier Regierung initiierte Hamburg-Shanghai Intership Programm in die Hansestadt gekommen. Das spezielle Wirtschaftsprogramm zwischen beiden Partnerstädten steht unter der Schirmherrschaft des Hamburger Senats und der Shanghaier Regierung. Kooperationspartner sind das Economic Management College in Shanghai (eine Elite-Wirtschaftsschule der Kommunistischen Partei) und die Hamburger Koordinierungsstelle Weiterbildung und Beschäftigung (KBW).

Lili Wu, 33, seit 15 Jahren in Hamburg, ist China-Projektleiterin bei der KBW. Bislang hat sie 18 Topmanager chinesischer Staatskonzerne als Hospitanten nach Hamburg vermittelt, jedoch bislang noch keinen einzigen Hamburger nach Shanghai. 2011 soll sich das endlich ändern, erklärt sie in ihrem Büro in der City Nord: "Logistik, Luftfahrt, Handel, Pharma und Chemie. Das sind die Branchen, in denen wir unsere Chinesen bislang in Hamburg untergebracht haben." Gerne erzählt sie die Geschichte von einem Manager aus Shanghai, der bei einem Handelskonzern hospitierte, nach seiner Rückkehr in Shanghai einen Supermarkt nach deutschem Vorbild umbauen ließ und sich über ein Umsatzplus von 40 Prozent freuen konnte.

Lili Wus Job ist kein einfacher. Drei Monate hat sie daran gearbeitet und bei fast 90 Hamburger Unternehmen akquiriert, um für Frau Chen und die Herren Liu, Jiang und Pang endlich eine geneigte und passende Firma zu finden. Und das hat einen logischen Grund: Die Chinesen, bereits Exportweltmeister, sind mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum um zehn Prozent nicht nur mit Riesenschritten auf dem Weg, die Wirtschaftsweltmacht zu werden. Sie sind auch gleichzeitig unangefochtener Weltmeister der Industriespionage.

Jedes Jahr warnt der Verfassungsschutzbericht ebenso ausführlich wie eindringlich vor den Tricks, Techniken und Taktiken chinesischer Wirtschaftsspione. So ist es kein Wunder, dass auch viele Hamburger Unternehmen befürchten, die chinesischen Hospitanten wollten nur klauen, kopieren und abkupfern. Gerade Herstellerfirmen und Unternehmen mit Entwicklungslabors sind skeptisch. Bei denen hat Lili Wu von der KBW kaum eine Chance, für ihre Manager aus Shanghaier Staatsbetrieben einen Hospitantenplatz zu ergattern.

"Wir haben sofort zugesagt, als die Anfrage kam", sagt Thomas Sprock, 52, Finanzgeschäftsführer und zuständig für Personalfragen beim Handelsunternehmen Ter Hell. "Direkte Kontakte nach China, gerade auch zu Staatsbetrieben, sind uns sehr wichtig. Mit unserem Hospitanten Herrn Jiang haben wir sogar schon Ansatzpunkte für eine konkrete Zusammenarbeit gefunden." Gunnar Hänselmann, 57, Ausbildungsleiter vom Transportunternehmen Bursped, hat bereits vor einigen Jahren Erfahrungen mit Hospitanten aus China gemacht. "Die waren nur neugierig und hatten gar keine Ahnung vom Geschäft." Das sei bei Herrn Liu anders. Er kenne sich wenigstens aus in seinem Geschäft. "Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er bei uns in Sachen strukturierte und effiziente Arbeitsabläufe einiges dazulernen konnte." Was Herr Liu beim für kommende Woche geplanten Rückflug nach Shanghai mitnimmt? "Für meine Frau 1000 Euro teure, mit Brillanten besetzte Ohrringe. Für meine Partei, meine Firma und für mich selbst einen reichen Erfahrungsschatz", resümiert der General Manager. Er lächelt dabei, so wie er das meistens tut. Unergründlich und geheimnisvoll.