Dampfender Glühwein und stimmungsvoll beleuchtete Plätze treiben fast jeden auf den Weihnachtsmarkt. Grund genug für eine Typologie der Besucher.

Hamburg. Die Weihnachtsmärkte entfalten jetzt wieder für Tausende Hamburger einen unwiderstehlichen Sog. Das nahende Fest treibt nahezu jeden mindestens einmal auf den Weihnachtsmarkt - vom Konsumkritiker über die Arbeitskollegen bis hin zur Familie mit Kind.

1. Die Frauenrunde

Die F. ist aus Neugier und wegen der "schönen Stimmung" auf dem Markt. Angehörige der F. sind durchschnittlich drei bis fünf Freundinnen, ihr Ziel: Spaß, Spaß, Spaß. Der maßvolle Konsum von Glühwein und Punsch festigt die oft enthusiasmierte Stimmung. Insgesamt stimmt sich die F. ganz bewusst in romantischer Umgebung auf das nahende Fest ein, verliert aber bei all der Besinnlichkeit nicht die alltäglichen Probleme der Freundinnen aus den Augen. Status: geschlossener Zirkel, genügt sich selbst. Typischer Satz: "Was schenkst du eigentlich Markus?"

2. Das Männerrudel

Das M. ist wegen der Frauenclique da - vielleicht kommt man ja ins Gespräch - und außerdem gibt's Glühwein. Vorweihnachtliche Verlockungen wie aromatisierte Luft, festlich dekorierte Holzhütten oder das besinnlichkeitsfördernde Speisenangebot werden zur Kenntnis genommen, sind aber im Grunde überflüssiger Ballast. Die Gespräche kreisen um den HSV und St. Pauli. Oder die Frauenclique gegenüber. Status: Wir bauen den Freedom-Tower aus Glühweintassen nach. Typischer Satz: "Die 14 Tassen bitte abgeben und sieben neue mit Schuss!"

3. Die Versonnenen

Die V. sind wegen der romantischen Atmosphäre da. Oft als empfindungsreiches Paar auftretend, das sich schlendernd, händchenhaltend und versunken auf das gemeinsame Weihnachtsfest einstimmt. Vorher haben beide Harmonie inhaliert, immer wieder stoppen sie an schönen Aussichtspunkten. Mal hat er etwas für sie entdeckt, mal ist sie der Meinung, ihn könnte etwas interessieren. Gern weist er sie mit einem sanften Wangenkuss auf den illuminierten Baum hin. Status: ganz reizend, aber halten den Verkehr auf. Typischer Satz: "Schön, oder?"

4. Die Kollegen

Die teambildende Maßnahme ist bei den K. logische Konsequenz des gemeinsamen Feierabends. Diesmal nicht in der Kneipe. Alle freuen sich auf den "ersten Glühwein des Jahres". Die Stimmung ist ausgelassen, der Chef ist ja nicht dabei. Zimtsternknabbernd und punschschlürfend wird der Bürotag ausgewertet, schnell sind alle über die aktuellen unternehmensinternen Techtelmechtel auf dem Laufenden, optional wird das nächste begonnen. Status: Alles kann, nichts muss. Typischer Satz: "Weihnachtsfeier ist dieses Mal auf dem Schiff, Kegeln letztes Jahr war geil."

5. Die Einsamen

Die E. kommen eher selten vor (und wenn, dann in F. oder M. versteckt), denn warum sollte man allein auf den Weihnachtsmarkt gehen? Deshalb befindet sich der Lonely Hearts Club mitten im Glühweinstandstau (unauffällig) oder am Eingang (auffällig). Um nicht negativ als begleitungslos aufzufallen, gehen viele Alleinstehende extra viele Runden und lassen sich von Kunsthandwerkern in Gespräche verwickeln. Status: gemeinsam einsam. Typischer Satz: "Entschuldigung, hast du mal Feuer?" oder "Tust du auch so, als würdest du auf jemanden warten?"

6. Die Kunstkenner

K. erfreuen sich am Anblick der Schnitzkunst aus dem Erzgebirge, könnten aber auf den vorweihnachtlichen Zirkus verzichten. Weil K. das Schöne lieben, genießen sie den Bummel dennoch und erfreuen sich sowohl an filigraner Lebkuchenmalerei als auch an mundgeblasenem Baumschmuck. Erwärmter Alkohol spielt eine untergeordnete Rolle. K. kommen leicht mit Kunsthandwerkern ins Gespräch, wenn die nicht gerade mit den Einsamen beschäftigt sind. Status: erstaunlich! Typischer Satz: "Erinnert mich an Lucas Cranach der Ältere."

7. Die Genießer

Schlesische Senfgurken, handgeschöpfter pyrenäischer Ziegenkäse oder Biowurst aus Stormarn: Die G. müssen alles probiert haben, was die kulinarische Vorweihnachtswelt hergibt. Deshalb sind sie da. Die Qualität eines Marktes bemisst sich für sie auch an der Güte des Glühweins, den sie lieblich gurgelnd zu sich nehmen. Gern flanieren die G. mit Crème fraîche verschmierten Mundwinkeln (von der Vorspeise) an den Stand, an dem sie den Hauptgang einzunehmen pflegen. Status: viele Köche, ausgezeichneter Brei. Typischer Satz: "Hmmm, lecker!"

8. Die Familien

Die F. kommen meist am frühen Nachmittag. Denn eigentlich ist der Weihnachtsmarkt ein adäquater Spielplatzersatz, nur festlich geschmückter. Papa steht gedankenverloren vor dem historischen Kinderkarussell. In einer Hand seinen Glühwein, in der anderen den Kinderpunsch. Mama macht Fotos von Linus, der sich seit drei Runden an das Feuerwehrfahrzeug klammert. An ihrem Arm baumeln Plätzchen, Gewürze und ein erzgebirgisch geschnitztes Holzspielzeug. Status: Familienglück vor dem Festtagskrach. Typischer Satz: "So, letzte Runde, Linus!"

9. Die Widerwilligen

Die W. sind meist konsumkritische Weihnachtspuristen. Sie wollen eigentlich gar nicht auf den Weihnachtsmarkt, sind aber trotzdem da, weil der Partner oder die Partnerin wenigstens einmal hinwollen. Dementsprechend demonstrativ genervt wird der Glühwein heruntergekippt, für die Geschenke-Industrie (in diesem Fall die Kunsthandwerker) haben die W. nur Verachtung über. Letztlich nehmen sie aber doch ein handgeklöppeltes Kissen und einen fair gehandelten Strohstern mit nach Hause. Status: hart aber herzlich. Typischer Satz: "Können wir dann?"

10. Die Weißmützen

Die Wm. sind vorzugsweise Frauen, die dem dunklen Mützeneinerlei den Kampf angesagt haben. In Hamburg gerade besonders angesagt. Schon schätzungsweise jedes fünfte Haupt wird weiß gedeckt. Im sonstigen Verhalten auf dem Weihnachtsmarkt eher unauffällig: kleinere Einkäufe, durchschnittliche Glühweinrationen. Allgemein geht es ums Sehen und Gesehenwerden, wissend nicken sie anderen Weißmützeninhabern zu. Status: angenehme Farbtupfer (wenn Weiß eine Farbe wäre). Typischer Satz: "Hast du die rote Mütze gesehen? Scharf!"