Ein Kommentar von Tom R. Schulz

Das Ambiente war trüb, es gab kein Bier, und die Jam Session war unfassbar lang. Trotzdem wird sie ins dünne Geschichtsbuch des Hamburger Jazz eingehen wie einst der Besuch von Louis Armstrong in den Riverkasematten selig. Das Publikum war nicht fachkundig, dafür umso lernwilliger. Und vor allem hatte es die Solisten selbst eingeladen und musste sich die endlosen Chorusse und Soli nun geduldig alle anhören. Nein, Instrumente hatte niemand mitgebracht. Alle spielten ihren Blues diesmal nur auf der Klaviatur der Sprache: Klubbetreiber, Pädagogen, Musiker, Verbandsleute, manche besser, manche schlechter, wie das so ist bei Sessions. Erstmals in seiner langen Geschichte hatte der Kulturausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft zu einer öffentlichen Anhörung geladen. Thema: "Situation des Jazz in Hamburg".

Öffentliche Anhörung heißt: Jeder darf mitreden, wenn er sich hübsch an die Spielregeln hält. Zettel ausfüllen ("lesbar, bitte!"), an die Protokollantin weiterreichen, warten, bis man aufgerufen wird, dann dem Vorsitzenden gegenüber Platz nehmen, Mikro einschalten und losreden. Irgendwie unjazzig, aber man ist ja flexibel. Kollektivimprovisation war unerwünscht, Beifall ebenso. Die Szene drängte sich im schmalen Korridor für Zuhörer, die Volksvertreter saßen am Tisch und hörten geduldig zu.

Wenn sie etwas mitgenommen haben von diesem etwas anderen Jazz-Marathon, dann dass die alte Politik des "Teile und herrsche" nicht mehr funktioniert. Da redete einer für drei, vier, fünf Institutionen auf einmal, einstige Rivalen unter roter Sonne gerierten sich als Brüder im Geiste.

Alle Beteiligten wittern derzeit Morgenluft für den Jazz. Was sie von der Stadt wollen, ist: Geld. Unterstützung. Anerkennung ihrer Kunstform. Der Senat, der den bislang musenfernen Stückgutfrachter Hamburg seit dem Jahr 1 nach Zeugung der Elbphilharmonie eifrig zum lustigen Musikdampfer umzutakteln sucht, kann sich nach dieser Anhörung nicht länger auf strukturelle Schwerhörigkeit und Ahnungslosigkeit berufen. Und jeder Lokaljazzer wäre gewiss froh, er hätte öfter so viel Publikum wie hier.