Der spätantike Kirchenlehrer Augustinus, der im 4. Jahrhundert wirkte, ist einer der einflussreichsten Vordenker der Christenheit. Papst Benedikt XVI. beruft sich gern auf ihn. Augustinus war zunächst ein haltloser Lebemann mit vielen Affären und einem unehelichen Sohn, ehe ihn die Fleischeslust plötzlich anekelte und er zum strengen Asketen wurde. Sein Dogma, Sexualität dürfe nur dem Zeugungsakt dienen, keineswegs aber der reinen Lust, hatte einen entscheidenden Einfluss auf die christliche Moraltheologie.

Auch für Thomas von Aquin, den bedeutendsten mittelalterlichen Theologen, war Sexualität ohne Zeugungsvorsatz "widernatürlich". Die körperfeindliche Morallehre der Kirche war eine komplette Abkehr von den sinnenfrohen Kulturen etwa der Griechen und Römer und bewusst von deren dekadenten Exzessen. Sexualität war allenfalls noch im Dienst einer höheren Sache sittlich vertretbar und trug in ihrer ungebundenen Form das Stigma schwerer Schuld. Für die Gottesmutter Maria fand die Kirche sogar extra das Glaubensdogma der unbefleckten Empfängnis, um sie vor der sexuell aufgeladenen Erbsünde zu befreien.

Die christliche Kirche hat den unschätzbaren Vorteil von fast 2000 Jahren Kontinuität, aber zugleich auch den Nachteil eines gewaltigen Ballasts an jahrhundertealten Dogmen. In puncto Sexualität hat sich ein Großteil der europäischen Gesellschaften längst von der kirchlichen Morallehre abgekoppelt. Sei es bezüglich außerehelicher Partnerschaften oder der Homosexualität. Die Debatte über Sinn und Gültigkeit dieser alten Normen ist überfällig, vor allem in Bezug auf Verhütungsmittel. Kondome spielen hier eine besondere Rolle, nicht nur als Instrument gegen Überbevölkerung, sondern weil sie zudem Erkrankungen wie Aids verhindern können, das Millionen Menschen auf der Welt dahinrafft.

Die Äußerungen Papst Benedikts XVI. zum Gebrauch von Kondomen zur Aids-Abwehr - zu denen Lyons Bischof Barbarin sagte, wenn Sexualität schon nicht Quelle des Lebens sei, so dürfe sie zumindest nicht Quelle des Todes werden - bedeuten noch keine grundlegende Wende der katholischen Kirche. Sie schaffen aber eine winzige Öffnung, durch die ein frischer Wind eindringen kann. Der 83-jährige Benedikt wird nicht viel weitergehen; aber er ermöglicht es damit seinem Nachfolger, neue Wegmarken zu setzen. Natürlich darf Sexualität nicht, wie der Hamburger Weihbischof Jaschke richtig anmerkt, zu einer "technischen Sache" verkommen, sondern sollte im Kontext von Liebe und Partnerschaft stehen.