Die Bestseller-Autorin, die heute in Hamburg aus ihrem neuen “Brunetti“ liest, schimpft auf Italien, liebt aber ihre Wahlheimat Venedig.

Die Espressomaschine der Pasticceria Ballarin nahe der Rialto-Brücke brummt und zischt. Unablässig wandern Tassen, Tässchen und süße Sünden über den Tresen. Die kleine, zierliche Lady - graue Haare, hellwache Augen, Jeans, Strickjacke - und ihre elegante, deutlich farbenfroher gekleidete Freundin fallen gar nicht weiter auf. Donna Leon hat weise vorgesorgt. Ihre Krimis mit dem melancholischen venezianischen Ermittler Guido Brunetti werden in 34 Sprachen übersetzt, auch ins Chinesische, Baskische, Estnische und Hebräische. Nicht aber ins Italienische - so kann die Autorin unbehelligt in dieser Stadt leben. Vermutlich würde nicht mal Commissario Brunetti, käme er auf einen Kaffee herein, seine Autorin erkennen. Sie parliert auf Italienisch und schwimmt in der Menge aus Venezianern und Touristen wie ein Fisch im Wasser.

Bei Espresso und Cappuccino wird der Tag geplant. Das Abendblatt-Interview muss schließlich zwischen die wirklich wichtigen Dinge des Lebens passen - Kochen, Essen, Klönen, die Freunde. "Bringen wir's hinter uns." Bei Donna zu Hause, entscheidet Roberta Pianaro, 63, die mit Donna seit fast 40 Jahren befreundet ist. Gekocht und gegessen wird später bei Roberta; sie hat die Zutaten für den kulinarischen Abend in ihrer Küche schon vorbereitet.

Nur sechs, sieben Fußminuten sind es bis zur Haustür der Bestseller-Autorin. Der Weg führt durch viele Gässchen, Plätze und Höfe, ein kleines Labyrinth im Viertel Cannaregio. Doch wer wie Donna Leon 30 Jahre in Venedig lebt, hat den Stadtplan in den Beinen - "das hält gesund". In einer engen Gasse, wo kaum zwei Menschen aneinander vorbeigehen können, schließt sie eine Tür auf. Im Hof dahinter schnurrt Gastone, der Nachbarskater, und kommt gleich mit nach oben in ihre kuschelige Dachwohnung.

Offen liegende Deckenbalken, verwinkelte Zimmer, gemütliche Sofas und ein Schreibzimmerchen mit einem gewaltigen CD-Regal. An den Wänden gemalte Porträts aus vergangenen Jahrhunderten und alte Keramiken und Kacheln, viele mit iranischen und arabischen Mustern - Erinnerungen an viele Auslandsaufenthalte als Englischlehrerin, an ihr ruheloses Leben vor Brunetti.

Donna Leons Wohnung ist ihre Insel in einem Land, für dessen Zukunft sie schwarzsieht: "Je länger ich in Italien lebe, desto mehr erstaunt es mich. Nicht die Korruption, die gab's vielleicht immer schon. Aber die Passivität der Menschen. Brunetti ist pessimistisch, weil man in diesem Land nur pessimistisch sein kann. Kulturetats werden beschnitten, Pompeji zerbröselt, weil das Geld für Partys ausgegeben wird, der Chef des Landes ist leider mit 17-jährigen Mädchen beschäftigt. Er korrumpiert Polizei und Justiz! Die Italiener lesen das und sagen: Oh, oh. Mehr nicht. Sie bewundern ihn sogar noch. Und in Mailand bauen sie 200 Wohnungen auf einer Müllkippe, wo acht Meter hoch giftiger Müll liegt. Die Behörden wissen das - gebaut wird trotzdem!"

Steilvorlage für Roberta: "Leider wahr. Aber die Leute sind resigniert - wen sollen sie sonst wählen? Berlusconi repräsentiert alles Schlechte; er hat das Land zerstört. Wir sind doch eine Lachnummer für alle anderen, eine Schande." Wenn sie redet, wird das Italienische zum melodischen Sprechgesang. Donna Leon regt sich etwas sachlicher auf: "Ist doch schizophren: In die Kirche gehen und dann Berlusconi wählen." - "Das passt schon, die Kirche ist schließlich auch der Ruin dieses Landes", kontert Roberta. Und Donna Leon setzt noch einen drauf: "Italien ist ein Land ohne Hoffnung."

Aber warum bleibt sie dann hier? "Ich gehör ja nicht wirklich dazu, bin hier eine Fremde, eine Amerikanerin, ich habe den ganzen Bürokraten-Stress nicht, die endlosen Behördengänge, die Zeitschlampereien. Venedig ist eine Insel in all dem Verfall. Und ich bin wie eine Ratte auf dem sinkenden Schiff. Ich weiß, dass ich schwimmen könnte. Aber meine Freunde hier können nicht einfach wegschwimmen."

Heißt das: irgendwann zurück nach Amerika? "Never. Nicht in einer Million Jahren. Ich würde mich dort ja ständig mit Leuten über Politik streiten. Wo soll ich da hin - Wyoming? New England? Florida? Brrrr. Südkalifornien? Uaaah." Sie schüttelt sich

Also bleibt sie in Italien. Steht zu ihrem Versuch, ein richtiges Leben im falschen hinzubekommen. Piekt ihre Wahlheimat mit kleinen Bosheiten und freut sich, wenn jemand das merkt: etwa, dass das Adelsgeschlecht, dem Brunettis Ehefrau Paola entstammt, ausgerechnet das des unseligen Dogen Marin Falier ist - er wurde 1355 wegen angeblicher Putschpläne auf der Riesentreppe des Dogenpalastes geköpft; sein Wappen im Saal des Großen Rates ist bis heute mit einem todschwarzen Banner übermalt. Oder Brunettis Chef, der Vize-Questore Patta, ein unfähiger Großschwätzer, der alle Kriminalfälle nur daraufhin abklopft, ob sie ihm Mühe und Ärger einbringen oder Lob ohne viel Arbeit. Für Donna Leon und für Brunetti steht er für die dunklen Seiten der Stadt und die Kumpanei mit den Mächtigen im Lande.

Wie seine Autorin flüchtet sich Brunetti immer wieder ins Private, zu Frau und Kindern, zu seinen Büchern. Und zum guten Essen. In ihren bisher 18 auf Deutsch erschienenen Krimis (aus dem neuen "Schöner Schein" liest sie heute Abend in Hamburg; siehe Text unten) wartet Donna Leon mit immer neuen Rezepten auf. "Einem Italiener - und viele lesen meine Bücher ja trotzdem, auf Englisch - fällt das gar nicht auf. Hier ist das Essen noch ein starkes Bindeglied in der Familie."

Bei den Brunettis wird einfach, aber geschmackstark gekocht. Woher weiß sie, wie das geht? "Ich kann das gar nicht", sagt Donna Leon. "Immer wenn ich beim Schreiben an eine Stelle komme, wo's ums Essen geht, rufe ich schnell bei Biba an."

Roberta Pianaro, von allen nur "Biba" genannt, ist nicht nur eine hervorragende Schmuckdesignerin, sondern auch ein wandelndes Archiv, wenn's ums Kochen geht. Inzwischen haben die beiden das Kochbuch "Bei den Brunettis zu Gast" herausgebracht. Mit Bibas Rezepten und Texten von Donna Leon; die US-Ausgabe ist schon für einen Kochbuch-Preis nominiert.

Wenn die beiden übers Essen reden, vergeht die Zeit wie im Flug. Donna regt sich darüber auf, wie viel Chemie in vielen Lebensmitteln steckt und nicht mal deklariert werden muss. Sie mag die Fleischberge der amerikanischen Küche nicht. "In einem Buch stand, wie ein großes Stück Beef in Coca-Cola gegart wurde - iiiigitttt!" Sie ist Vegetarierin. Keine dogmatische - wenn Freunde kochen, macht sie aus Höflichkeit eine kleine Ausnahme.

Biba ist, unübersehbar, weniger asketisch veranlagt. Sie kann, wenn's sein muss, von jedem Thema aufs Essen zurückkommen. Selbst von dem Häuschen, das Donna Leon für die Igel im Garten ihres Hauses außerhalb Venedigs gebaut hat: "Und dabei kann man sie so gut essen, man sagt, sie schmecken besonders gut, exquisit." Donna verzieht das Gesicht, krault Gastone und ätzt zurück: "Aber Katzen hast du noch nicht gegessen?" Biba wird grundsätzlich: "Ich liebe Tiere, aber ich kann sie trotzdem auch essen." - "Das hab ich jetzt nicht gehört." Gastone fühlt sich sicher, wenigstens für den Moment.

Essen hat ihr, die bei Biba vor fast 40 Jahren nur ein Schmuckstück in Auftrag geben wollte, die Türen ins Herz des italienischen Lebens geöffnet. Heute geht es ihr wie Brunetti - der bekämpft das Böse, aber er leistet sich ein herrlich altmodisches Leben. Ein Handy musste man ihm aufdrängen, einen Computer hat er immer noch nicht, es gibt keine Autos in der Stadt, höchstens sprechen mal Menschen etwas lauter unter dem eigenen Fenster. Der Esstisch mit allen Familienmitgliedern ist noch der Platz, an dem die Kinder viel lernen. Außerdem wird bei den Brunettis gelesen statt ferngesehen.

Donna Leon hat nicht mal einen Fernseher. "Sicher", sagt sie, "die Brunetti-Romane, das ist eine Welt, in der sich - anders als in der realen - außer den Verbrechen nicht sehr viel ändert." Kritiker werfen ihr das vor, ihre Fans sind glücklich darüber. Sie selbst schätzt an Venedig genau dieses Beständige. Die Stadt gibt ihr ein Refugium und dank ihrer Krimis, von denen sie mit eiserner Disziplin jedes Jahr einen schreibt, den Freiraum für exakt das Leben, das sie immer haben wollte. Die Themen fliegen ihr beim Zeitunglesen zu, "ich merke sehr genau: Das kann ein Buch werden. Und das nicht."

Biba ist längst gegangen, ihre Küche hat gerufen. Und Donna Leon frönt ihrer großen Leidenschaft: Sie hat Musik von Georg Friedrich Händel aufgelegt, aus dessen Oper "Alcina". Sie sagt selbst, sie sei Händel-verrückt, und man spürt: Seine Musik bereichert ihr Leben um eine vierte Dimension, um unfassbares, grenzenloses Glück. Sie reist ihr um den ganzen Globus hinterher, hat alle großen Händel-Premieren fest im Kalender und stimmt ihre Lesereisen genau auf die Musik-Termine ab. Sie besteht darauf, nicht viel Ahnung von Musik zu haben. Aber das ist untertrieben. Sie hört mit dem Herzen und hat sich eingearbeitet, vergleicht präzise, was einzelne Sängerinnen können, und finanziert das Barock-Orchester "Il complesso barocco" ihres Dirigenten-Freundes Alan Curtis mit dem Ziel, alle Händel-Opern auf CD einzuspielen.

Gerade ist ihr neues Buch erschienen - kein Brunetti, sondern "Tiere und Töne". Sie schreibt über das, was in Händels Arien alles kreucht und fleucht: Löwe, Biene, Turteltaube, Elefant, Tiger & Co. Die Kennerin der mittelalterlichen "Bestiarien", moralisierender Dichtungen über Tiere und Fabelwesen, beschreibt klug, wie Händel in seiner Musik über diese Tiere bestimmte Charaktereigenschaften nachzeichnet. Natürlich liegt eine CD mit allen zwölf Tier-Arien dabei - ein musikalischer Spaß, den der deutsche Maler und Zeichner Michael Sowa hinreißend illustriert hat.

Am Nachmittag ist Fototermin in Bibas Küche. Der Fotograf verzweifelt: Die hat nämlich nur gefühlte zwei Quadratmeter und ist überfüllt mit Platten, Töpfen und Schüsseln, in denen die Früchte langer Vorbereitung auf ihren Auftritt warten. Donna Leon hat den Reporter per E-Mail gewarnt: "Biba hat ein Menü geplant, das ausreicht, die 7. Flotte zu versorgen. Sehen Sie sich vor!"

Biba werkelt, Donna hat den Wein mitgebracht, am Abend trudeln die Freunde ein. Ein Nachbarspärchen, Stefano und Nadia, er ist Locationscout für Filmproduktionen in Venedig. Und Bibas Mutter Donna Bianca, agile 84 Jahre jung. Dazu Fabio, Anwalt, und Umberto, Designer von Hotel-Interieurs. Biba tischt auf, punktgenau, strahlend-stolz. Sie sagt ihren berühmten Spruch: "Mangia, mangia, che ti fa bene" ("Iss, iss, damit es dir guttut"!). Und die 7. Flotte läuft zu großer Form auf ...

Das muss sie auch, denn es gibt Crespelle alle spinaci e ricotta (Crêpes gefüllt mit Spinat und Ricotta), Pollo soffocato con Verza (geschmorte Hähnchenkeulen mit Wirsing), Polpettini di vitello (Kalbfleischbällchen mit Ingwer), Carciofi in Casseruola (geschmorte Artischocken). Und zum Schluss ein Apfelauflauf-Gedicht: Mele al forno con crema pasticcera e panna - es schmeckt so gut, wie es klingt. Nach einem solchen Mahl würde sogar Brunetti freundlicher auf die Welt blicken.

Biba sitzt, als alle satt sind, wie eine Patriarchin in ihrem Sessel, schaut huldvoll auf ihre Gäste und genießt die Komplimente. Beim Abschied sagt sie dem fast schon eingemeindeten Reporter: "Das nächste Mal kochen wir Fisch - aber ohne Fotos."

Donna Leon bringt, brückauf, brückab, Donna Bianca nach Hause. Grüßt freundlich vier herumlungernde Halbstarke, um die man in Hamburg einen großen Bogen gemacht hätte. "No, no - ich habe ihren venezianischen Akzent gehört, da ist man sicher." Bleibt irgendwann unvermittelt vor der Klingel stehen, über der halbkreisförmig ihr Name steht: Leon. Sagt "Ciao" und "Hat großen Spaß gemacht, nicht wahr?" und verschwindet in ihrem Venedig, auf ihre Insel oben unterm Dach, ganz nah bei Brunetti, Händel und Gastone.