Günther Maihold ist Vize-Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Hamburger Abendblatt:

1. Warum ist die Situation in Haiti trotz der Hilfswelle nach dem Erdbeben und trotz des Uno-Einsatzes so eskaliert?

Günther Maihold:

Der Wiederaufbau in Haiti läuft sehr langsam, da keine belastbaren staatlichen Strukturen vorhanden sind. Zudem ist es sicherlich nicht sinnvoll, wenn die ausländischen Geber als "Ersatzstaat" agieren. Vielmehr steht das Land vor der schwierigen Aufgabe, gleichzeitig Staat, Infrastruktur und gesellschaftliches Zusammenleben wiederherstellen zu müssen. Dies ist unter den Bedingungen nur sehr langsam zu bewerkstelligen, mit der Folge, dass auch die Bevölkerung schnell die Geduld verliert.

2. War außerhalb der Soforthilfe der Einsatz der Hilfsorganisationen erfolgreich?

Maihold:

Ohne den Einsatz der internationalen Gemeinschaft wäre die Lage in Haiti schnell aus den Fugen geraten. Das hohe Maß an Gewalt, das die haitianische Gesellschaft kennzeichnet, hätte schnell zu Auseinandersetzungen innerhalb der Bevölkerung führen können. Die zu bewältigende Aufgabe ist jedoch riesig, wenn man an den Umfang der Zerstörung und den bereits vor dem Erdbeben schlechten Zustand der Infrastruktur von Straßen über Schulen bis zu Krankenhäusern denkt.

3. Wie schätzen Sie die Lage vor den Wahlen im Dezember ein?

Maihold:

Bislang ist der Wahlkampf recht geordnet verlaufen. Allerdings fürchtet sich aufgrund der Cholera ein Teil der Bevölkerung vor Ansteckung bei Menschenansammlungen und beim Wahlvorgang selbst. Enttäuschung und Wut über das Wahlergebnis oder die schlechte Versorgungslage können schnell in Gewalt umschlagen.

4. Lässt sich Haiti befrieden oder gilt das Land bereits als failed state à la Somalia?

Maihold:

Fortschritte sind nur in kleinen Schritten erreichbar. Haiti besitzt dafür gute Voraussetzungen, auch wenn Naturkatastrophen und Epidemien das Land immer wieder zurückwerfen. Wenn nach der Wahl keine Unruhen auftreten, wäre ein wichtiger Faktor für eine Erholung des Landes gesichert.

5. Wäre der aus Haiti stammende Popsänger Wyclef Jean, der abgelehnt wurde, ein geeigneter Präsidentschaftskandidat gewesen?

Maihold:

Wyclef Jean verkörpert den Traum vieler Haitianer, den persönlichen Erfolg auch dem eigenen Land zugutekommen zu lassen. Die Überweisungen von Verwandten aus dem Ausland sind eine zentrale Einnahme für das Land. Angesichts der Distanz zu etablierten Kräften war Jean der frische und unverbrauchte Kandidat. Zudem verkörperte er die guten Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft, auf die Haiti zentral angewiesen ist.