Eine neue Bewertung ist sinnlos, wenn in Stadtteilschulen der Anteil lernschwacher Kinder zu hoch ist. Diese sollten in eigenen Einrichtungen gefördert werden

"Was hat Timo (alle Namen geändert) in der letzten Mathearbeit?" "Nach der neuen Bewertung hätte er acht Punkte, genau wie Ali." "Ist das gut?" "Keine Ahnung. Da steigt doch keiner mehr durch!" - Timo und Ali besuchen beide die siebte Klasse einer Stadtteilschule in Hamburg. Ali ist eigentlich ein plietsches Kerlchen und strebt den mittleren Bildungsabschluss an. Leider hat er diese Mathearbeit in den Sand gesetzt, denn acht Punkte entsprächen für ihn nach der neuesten Bewertungsidee der Schulbehörde einer glatten 5. Timo hat mit großen Lernschwierigkeiten zu kämpfen und wird wohl nur mit Mühe den ersten Schulabschluss erreichen. Für ihn würden acht Punkte eine 3 bedeuten.

Welchen Vorteil hätte diese neue Bewertungsfantasie für Timo und Ali? Was wäre besser als früher, als sie bei Rückgabe der Klassenarbeit wussten: "Ich hab 'ne 3, das ist o. k. für mich" oder "Shit, 'ne 5 - ich muss was tun."

Wenn Kinder verschiedener Lernstärke - von potenziellen Gymnasiasten bis Förderschülern - in Stadtteilschulklassen zusammen unterrichtet werden, wenn hier Schüler individuell nach ihren Möglichkeiten lernen sollen, sind ihre Leistungen auch nur durch eine einheitliche Zensierung vergleichbar.

Die Kompetenzen der Schüler verbessern sich dadurch nicht. Genau das aber war das Ziel der Enquetekommission, als sie ein Zwei-Säulen-Modell für das Hamburger Schulsystem vorschlug. Die hohe Anzahl der Risikoschüler sollte gesenkt werden. Schüler mit geringerer Leistungsfähigkeit sollten die nötige Förderung erhalten, um trotz ihrer begrenzten Kompetenzen ausbildungsfähig zu werden.

Wie sich zeigt, ist der Erfolg gemeinsamen Unterrichts stark heterogener Schülergruppen aber Illusion, wenn der Anteil lernschwacher Kinder in diesen Gruppen zu groß ist.

Vielleicht böte es sich deshalb an, das Schulmodell der erfolgreichen Sachsen noch einmal als Anregung zu bemühen. Hartnäckige Förderschüler würden nach diesem Vorbild dann in eigenen Schulen unterrichtet. Auf Hamburg übertragen: Innerhalb der Säule "Stadtteilschule" gäbe es zwei homogene Leistungszweige. Ein Wechsel von einem zum anderen Zweig wäre möglich.

Kleine Klassen, homogene Lerngruppen, gut ausgebildete Lehrer und Förderunterricht parallel zum Unterricht schüfen eine gute Lernatmosphäre und das nötige Wir-Gefühl. Praxis- und anschlussorientierte Inhalte würden am Ende der Klasse 10 alle Schüler zu einem Abschluss befähigen, die einen zum ersten, die anderen zum mittleren.

Auch für das Gymnasium wäre es zwingend geboten, die bestmögliche Unterstützung für starke und schwächere Lerner einzurichten. Wie geht es Anne-Sophie, wenn sie zwei weitere Nachmittage pro Woche das "Gruppen-Förderangebot" ihres Gymnasiums besuchen muss, weil sie Fünfen geschrieben hat? Die Effizienz ist nicht gesichert, aber sie hat noch weniger Zeit, um den laufenden Lernstoff zu bewältigen, mehr Stress, immer die Angst, es trotzdem in acht Jahren nicht zu schaffen. Unterstützung sieht anders aus.

Die Schulbehörde in Hamburg möchte mit dieser neuen Idee der Punktebewertung von Schülerleistungen eine sogenannte "Gerechtigkeitslücke" gegenüber den Gymnasiasten schließen. Dieses Argument entfällt, weil Gymnasien und Stadtteilschulen völlig andere Profilierungen und höchst unterschiedliche Bildungsaufträge haben.

Auch Schulformwechsel ist nicht mehr vorgesehen, sodass die Vergleichbarkeit der Noten unnötig wird. An integrativen Gesamtschulen, die sich von den heutigen Stadtteilschulen kaum unterscheiden, gab es zudem schon immer eigene Bewertungssysteme.

Ob man von Ungerechtigkeit sprechen kann, weil Ali, Timo und Anne-Sophie unterschiedliche Lernvoraussetzungen mitbringen, kann man sicher diskutieren. Dass dagegen aber eine Bewertung ihrer Leistung nach Punkten nicht hilft, steht fest.