Rundum zufrieden sieht der Kleine aus. Ein Anblick, der etwas Idyllisches hat. Ein rosiger, süßer Säugling, der friedlich im Tragetuch schläft, an die Brust seiner Mutter gekuschelt. Ein vollkommen gesundes Kind. "Und darüber bin ich auch sehr, sehr glücklich", seufzt die Frau. Erleichterung schwingt noch heute in ihrer Stimme mit, die unendliche Freude darüber, dass Valentin nicht zu Schaden kam. Damals im Januar, als sie mit ihm im fünften Monat schwanger war und auf eisglatter Fläche ausrutschte und schwer stürzte. Das Handgelenk der 39-Jährigen hat den Fall deutlich weniger gut überstanden - und brach. Deswegen ist Ruth F. jetzt als Zeugin gekommen, in Begleitung des selig schlummernden Valentin, zum Prozess gegen den Mann, der ihre Verletzung indirekt verschuldet haben soll.

Fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen und Verstoß gegen das Hamburgische Wegegesetz wird Klemens K. vor dem Amtsgericht vorgeworfen. Der 46-Jährige ist angeklagt, den vereisten Gehweg vor seinem Grundstück nicht ausreichend vom Eis befreit zu haben, sodass Ruth F. stürzte und sich den Knochenbruch zuzog.

Es ist wahrlich kein Einzelfall nach dem ungewöhnlich harten Winter mit seinen eisglatten Straßen und Wegen, die vielen Bürgern in schlechter Erinnerung sind. Eine solche Häufung von Unfällen mit verletzten Fußgängern und einem möglichen Verschulden von Anwohnern gab es, dass bei der Staatsanwaltschaft alle Verfahren in einer Abteilung zentral bearbeitet werden. Nach Auskunft der Anklagebehörde sind bislang 120 derartige Verfahren anhängig und dabei nahezu alle Stadtteile betroffen. Zu den Fällen mit den gravierendsten Folgen für die Opfer im Zusammenhang mit dem strengen Winter gehören der Sturz eines Mannes, der sich den Oberschenkelhals brach und später verstarb, und ein Mann, der so unglücklich auf eisglatter Fläche zu Fall kam, dass er seitdem querschnittsgelähmt ist. Doch in diesen beiden Fällen dauern die Ermittlungen noch an; die Frage, ob eine Pflichtverletzung eines Hausbewohners Grund für die schweren Stürze war, ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft noch nicht geklärt.

Anders im Fall von Klemens K. Doch der Kaufmann wehrt sich gegen den Vorwurf, seiner Verpflichtung zum Räumen und Streuen vereister Flächen nicht ausreichend nachgekommen zu sein. "Ich nutze den Gehweg selber und habe in der Regel Business-Schuhe an", erklärt der smarte schlanke Mann im eleganten dunkeln Anzug. Er habe "nach Bedarf gestreut, erst Streusand, später Sand oder Katzenstreu, was man noch so bekam". Den Schnee habe er "in Schaufelbreite" geräumt. Wie intensiv er an jenem fatalen Tag dem Eis zu Leibe gerückt ist, könne er heute nicht mehr genau sagen. "Aber es war ein Mittwoch, und Mittwoch ist bei uns Großelterntag", hilft er selbst seiner Erinnerung auf die Sprünge. Die Großeltern hätten damals seine kleine Tochter betreut, und er habe stets darauf geachtet, "dass sie nicht fallen". Wie viel Zeit er jeweils zum Beseitigen des Eises aufgewendet habe, "habe ich nicht gestoppt", versetzt er mit einer Spur von Ungeduld. "Wie gesagt: je nach Bedarf."

Was er bisher gehört habe, bilanziert der Amtsrichter, "lässt sich nicht restlos der Sorgfaltspflicht entsprechend einordnen. Also kein glattes: Gut so!" Aus Sicht von Zeugin Ruth F. könnte es sogar eher auf ein Ungenügend hinauslaufen. Schippen, fegen oder streuen - "gar nichts" sei gemacht worden. "Es hat mir das eine Bein geradezu weggezogen!" Ihr Handgelenk sei innerhalb von Sekunden angeschwollen. "Da war das Eis wieder gut für mich. Ich habe meine Hand da reingepackt", erzählt sie und streichelt ihrem schlafenden Säugling zärtlich über den Kopf. Acht Wochen habe es gedauert, bis sie die Hand wieder voll nutzen konnte. Sie sei definitiv auf dem Bürgersteig ausgeglitten, beteuert die 39-Jährige. Auch eine andere Zeugin erinnert sich, dass die Verletzte auf dem überfrorenen Gehweg gelegen habe. Einer anderen Zeugin soll Ruth F. dagegen erzählt haben, sie sei "auf der Straße" gefallen.

In diesem Fall wäre der Angeklagte ja nicht in der Verantwortung, meint der Verteidiger und nutzt die nicht restlos eindeutige Beweislage für eine Anregung, das Verfahren gegen eine Geldzahlung einzustellen. Der Amtsrichter ist nicht abgeneigt, spricht von "regelmäßigem Kümmern, wenn auch vielleicht nicht in ausreichendem Maß". Auch die Staatsanwältin stimmt zu: "Es war ein schwieriger Winter!" 2500 Euro Geldbuße muss Klemens K. bezahlen. "Ich hoffe, dass wir uns nicht wiedersehen in ähnlicher Situation", gibt der Richter dem Kaufmann noch mit auf den Weg. "Der nächste Winter kommt bestimmt!"