Aus für alle deutschen Filialen: 140 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs - die meisten von ihnen arbeiteten in der Zentrale in der Hansestadt.

Hamburg. Im Juni 2007, als Arbeiter die blauen Lettern vom HSV-Stadion abmontierten, war die Selbstauflösung des ehemals größten Internetkonzerns der Welt bereits im vollen Gange. 200 000 Euro kostete es damals, die drei Buchstaben mit Kränen und Schweißgeräten zu entfernen, die sechs Jahre zuvor angebracht worden waren.

Der komplette Rückzug AOLs aus der deutschen Öffentlichkeit wird wohl deutlich teurer: Gestern wurde die Belegschaft informiert, dass das europäische Geschäft des US-Konzerns drastisch verkleinert wird. "Alle deutschen Filialen werden geschlossen, neben Hamburg auch die Außenbüros in Düsseldorf, Frankfurt und München", sagte Firmensprecher Thomas Knorpp dem Abendblatt. Damit verlieren 140 Beschäftigte ihre Jobs, der Großteil arbeitete in der Deutschland-Zentrale am Zirkusweg nahe dem Hamburger Hafen. "Jetzt geht die Diskussion über einen Sozialplan los", sagte Knorpp. Nach seinen Angaben trifft der Jobkahlschlag auch die übrigen zehn europäischen Länder mit AOL-Filialen hart, die bis auf jene in Großbritannien und Irland ebenfalls alle geschlossen werden sollen.

Bereits im November hatte AOL-Chef Tim Armstrong angekündigt, die Gesamtbelegschaft von 6900 Mitarbeitern um ein Drittel zu reduzieren. Von einer nahezu vollständigen Aufgabe des Europageschäfts war allerdings nicht die Rede gewesen. "Deutsche Nutzer können aber weiterhin auf ihren E-Mail-Zugang zugreifen", versicherte Knorpp. "Das AOL-Portal wird weiter bestehen bleiben, wenn auch in abgespeckter Variante." Allzu viele wird es vermutlich nicht stören: Allein im vergangenen Jahr hat AOL in den USA zehn Millionen Nutzer verloren, Branchengrößen wie Google und Yahoo machen dem Netzpionier das Leben schwer.

Dabei hatte AOL seit den späten 80er-Jahren unter dem unbescheidenen Firmennamen America Online den Weg des Internets zum Massenmedium bereitet. Mit seiner Zugangssoftware und einem bunten Angebot verschiedener Onlinedienste wie E-Mail, Messenger, Chat, später Videos und Newsfeeds war AOL lange Jahre Urgestein und Kultanbieter im Netz. 18 000 Mitarbeiter beschäftigte das Unternehmen insgesamt, allein in Hamburg waren es noch vor wenigen Jahren mehr als 500. Auf dem Höhepunkt der Web-Euphorie im Jahr 2001 schluckte das Unternehmen den Medienriesen Time Warner für 147 Milliarden Dollar. Ab da ging es bergab: AOL verschlief wichtige Trends wie soziale Onlinenetzwerke, die Abonnentenzahl schrumpfte von 30 auf sechs Millionen, das einst lukrative Geschäft mit Internetzugängen brach ein. Im vergangenen Dezember kam der einst als "Jahrhundertfusion" gefeierte Zusammenschluss schließlich zum bitteren Ende: AOL wurde von Time Warner abgestoßen und startete als selbstständiges Unternehmen an der Börse. Der Jobabbau in Europa und in wenigen US-amerikanischen Filialen soll dem geschrumpften Unternehmen nun helfen, die Kosten jährlich um 300 Millionen Dollar zu senken. Firmenchef Tim Armstrong, der erst im März vom Konkurrenten Google zu AOL wechselte, will über Werbeflächen und Nachrichtenportale im Internet Geld verdienen. Nach dem Börsengang hatte er sich vorsichtig optimistisch gezeigt: "Um die AOL-Geschichte zu einem Erfolg zu machen, werden uns Blut, Schweiß und Tränen abverlangt", sagte er der "New York Times". Dass am Hamburger Zirkusweg in diesen Tagen Tränen fließen, ist anzunehmen. Nach Angaben von Firmensprecher Knorpp geht die Arbeit mit Geschäftspartnern und Kunden trotzdem erst einmal weiter. "Aber ein 'Business as usual' wird uns wohl nicht möglich sein."