Bei einem Routine-Einsatz soll ein 37-jähriger Polizist eine junge Frau grundlos attackiert haben

Neustadt. Die 34-Jährige ist von auffällig zarter Statur, sie wirkt zerbrechlich, grazil, fast elfenhaft. Wer käme schon auf den Gedanken, von dieser Frau, die so traurig in den Gerichtssaal blickt, könnte eine Gefahr für Leib und Leben ausgehen?

Polizist Andreas K., hochgewachsen und durchtrainiert, war bei einem nächtlichen Einsatz anderer Meinung. Blitzschnell habe er in jenem Augenblick entscheiden müssen, "wie beim Schusswaffengebrauch". Am Ende landete Theresa L. (Name geändert) im Krankenhaus und Andreas K. wegen Körperverletzung im Amt vor Gericht. Dass ein Polizist dort steht, ist bemerkenswert: Nur in einem Bruchteil der Ermittlungsverfahren gegen Beamte kommt es zur Anklage - ein Umstand, den Amnesty International mit dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft erklärt.

Es ist ein Prozess mit vielen Defiziten. Einer Nebenklägerin mit Erinnerungslücken und Polizei-Zeugen, die wenig wahrgenommen haben wollen. Begriffe, wie sie nur Polizisten benutzen, schwirren durch den Raum. Begriffe wie "Ingewahrsamnahme", "Gefahrenabwehr" und "Anwendung unmittelbaren Zwangs".

Für Theresa L. bedeutsamer sind indes der "Fußfeger" und der "Handbeugehebel". Denn diese "Maßnahmen" taten richtig weh.

Im September 2009, gegen 5 Uhr früh, waren Andreas K., 37, und Kollegen zu einer Ruhestörung in eine Wohnung auf St. Pauli gerufen worden. Weil sie schon das dritte Mal aufkreuzen mussten, entschieden sie: Die Party wird aufgelöst. Einen Teil der Gäste lotsten sie aus der Wohnung auf die Terrasse. Einige beschwerten sich, es gab Diskussionen, aber keine Gewalt.

Theresa L. kehrte noch einmal zurück, um Tasche und Jacke zu holen. Sie berührte einen Polizisten am Arm, der sich gerade mit einem Mann unterhielt. Weil Andreas K. die "Störung einer Amtshandlung" witterte, nahm er sie recht rabiat in den "Handbeugehebel", sein Kollege fixierte den anderen Arm. Die Grafikerin hatte bei dem Gerangel einen Schuh verloren, damit sie ihn wieder anziehen konnte, gab ein Beamter einen Arm frei, während Andreas K. sie weiter fixierte. Da zog Theresa L. dem Angeklagten das Funkgerät aus der Tasche und schleuderte es durch den Raum - "aus purer Verzweiflung, sie hatte Schmerzen", sagt die Staatsanwältin. Der Polizist holte die 34-Jährige prompt mit dem "Fußfeger" von den Beinen, und die junge Frau krachte "ungeführt" mit dem Gesicht auf den Boden, die Nase blutete heftig, sie erlitt Prellungen an Auge, Unterkiefer und Nase. "Er sah keine andere Chance, die Gefährdung von sich und seinem Kollegen zu nehmen", sagt der Verteidiger von Andreas K. Das Funkgerät, zweieinhalb Kilo schwer, sei haarscharf an seinem Kopf vorbeigezischt.

Im Urteil lassen die spärlichen Erinnerungen der Geschädigten das Pendel zugunsten von Andreas K. ausschlagen. Was strittig ist - ob Theresa L. eine Bierflasche bei sich, ob sie ihn getreten hatte - wertet die Richterin "im Zweifel für den Angeklagten". Der Polizist habe Theresa L. als Gefahr wahrgenommen, "ex ante", also aus der Situation heraus betrachtet, sei sein Handeln rechtmäßig. "Mein Entscheidung ist für sie bitter, aber ich kann Herrn K. nicht strafrechtlich zur Verantwortung ziehen", sagt die Richterin. Sie spricht ihn frei.

Theresa L. sieht nun noch mitgenommener aus. Die Staatsanwältin hatte eine Verwarnung unter Strafvorbehalt und 1500 Euro Geldbuße gefordert, Andreas K. habe "unverhältnismäßig und rechtswidrig gehandelt". Dass seine Mandantin bedrohlich gewirkt habe, sei abwegig, der Angeklagte sei aggressiv aufgetreten, sagt der Nebenklagevertreter. "Das ist nicht dumm gelaufen, das war eine Straftat." Im Prozess habe Andreas K. seine "Einlassung der Aktenlage angepasst" - ein Vorwurf, den der Angeklagte empört zurückweist.

Im Krankenwagen, nach der Attacke im Namen der Gefahrenabwehr, zeigte er Mitgefühl mit der verletzten Frau. Im Gericht wiederholt er seinen Standpunkt: "Die Folgen tun mir leid, aber zu der Maßnahme stehe ich."