Doch sie steckt in einem Riesendilemma, weil sie im Wesentlichen die Politik der Großen Koalition fortsetzt. So kann sie den Wählern nicht mit der SPD drohen.

Verblüffend: Kanzlerin Angela Merkel treibt die schwarz-gelbe Koalition durch den "Herbst der Entscheidungen", doch in den Umfragen bewirkt diese neue Entschlossenheit nichts. Ein Jahr nach ihrer Amtsübernahme verkündet die Regierung Höchstzahlen beim Wirtschaftsaufschwung und Niedrigstzahlen bei der Arbeitslosigkeit. Doch nur noch ein gutes Drittel der Deutschen würde diese Regierung jetzt wählen.

Die Bürger könnten sich "ordentlich regiert fühlen", findet der "Spiegel". "Nach den hergebrachten Gesetzmäßigkeiten der politischen Demoskopie", so die "Frankfurter Allgemeine" müssten Merkel, Seehofer und Westerwelle "hoch im Ansehen der Bevölkerung stehen". Doch Rot-Grün liegt klar vorn, in den meisten Umfragen reicht es für SPD und Grüne sogar zu einer Mehrheit ohne Linkspartei.

Dass Deutschland so gut durch die Finanzkrise gekommen ist, dass der Export brummt - das wird der Regierung Merkel nicht gutgeschrieben. Sie führt die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Großen Koalition im Wesentlichen weiter, also auch viel SPD-Politik. Deshalb kann sie den Wählern nicht damit drohen, eine sozialdemokratisch geführte Regierung würde den Aufschwung gefährden. Im Gegenteil, Schwarz-Gelb macht ja teilweise noch Werbung für die SPD.

Wenn Wirtschaftsminister Brüderle dicke Lohnerhöhungen fordert, werden die Gewerkschaften kaum zur Wahl der FDP aufrufen. Brüderle bestätigt nur eine klassische SPD-Position. Und wenn CSU-Chef Seehofer die Rente mit 67 infrage stellt, lockt er damit ebenfalls keine linken Wähler ins bürgerliche Lager. Sondern auch er bestätigt nur die SPD.

Ohne Angst um die wirtschaftliche Zukunft können die Wähler nach anderen Maßstäben für ihre Entscheidung suchen. Davon gibt es zwei. Einmal das Erscheinungsbild der Regierung, das ja im ersten Jahr katastrophal war. Auch wenn der Umgang der Partner miteinander sich inzwischen verbessert hat - noch hat die schwarz-gelbe Koalition nicht widerlegt, dass für sie als Ganzes die Formulierung "irreparabel beschädigt" von Umweltminister Röttgen zutrifft.

Doch selbst wenn die Regierung Merkel dauerhaft Tritt fasst, gibt es immer noch einen zweiten Maßstab, an dem sie zu scheitern droht: die Sachthemen. Es gibt in gesellschaftlichen Streitfragen keine Mehrheit für Union und FDP. Das war vor einem Jahr schon der Grund für Angela Merkels unpolitischen Wahlkampf, der nur auf ihre Person setzte und Auseinandersetzungen in der Sache mied.

Wichtigstes Beispiel dafür: die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, die zwar zum Programm von Union und FDP gehörte, von Merkel im Wahlkampf aber keineswegs offensiv angekündigt wurde. Jetzt ist sie beschlossen, und die Opposition läuft Sturm. Nicht nur, weil SPD und Grüne für eine schnellere Abschaltung sind, sondern weil sie mit diesem Thema den Wahlsieg 2013 fest ins Auge fassen können.

"Sie spalten die Gesellschaft!", hat SPD-Chef Sigmar Gabriel der Kanzlerin in der Atom-Debatte im Bundestag vorgeworfen. Seinen Nutzen davon verschwieg er: Der Spalt geht nämlich nicht genau durch die Mitte, sondern räumt Rot-Grün mehr Platz in der Wählerschaft ein als Schwarz-Gelb. Nur ein Drittel der Deutschen will laut "Politbarometer" die Atomkraftwerke länger laufen lassen. Ein Drittel - so viel, wie Schwarz-Gelb in den Umfragen bekommt.

Wie geht es weiter mit dieser Drittel-Regierung? Geschieht kein politisches Wunder, verliert sie die Landtagswahl in Baden-Württemberg im März nächsten Jahres. Da bekommt sie es ja noch mit einem zweiten Verliererthema, dem Bahnprojekt Stuttgart 21, zu tun. Dieses Projekt hat für Angela Merkel allerdings den Vorteil, dass sie eine Niederlage als regionales Ereignis abtun und so die Diskussion um ihre Position als CDU-Chefin und Kanzlerin abschwächen kann. Zum schnellen Kanzlerwechsel, über den so viel spekuliert wird, könnte es ohnehin nur kommen, wenn auch Westerwelle und Seehofer (durch Guttenberg) abgelöst würden. Dass aus so viel Aufruhr schnell eine bessere Regierung entstünde, ist schwer vorstellbar.

Und was würde sich an der Ausgangslage einer anderen, womöglich besseren Regierung ändern, wenn weiter das Atom-Thema gegen sie steht? Nichts. Vermutlich also wird Angela Merkel weitere drei Jahre bis zur Bundestagswahl 2013 Kanzlerin bleiben, vermutlich kann sich das Volk bis dahin weiter "ordentlich regiert fühlen". Aber ob es Merkel und Schwarz-Gelb noch einmal wählt? Da müsste das politische Wunder noch größer sein als nächstes Jahr in Baden-Württemberg.