30 000 Demonstranten wollen den Transport nach Gorleben am Wochenende möglichst lange aufhalten

Hannover/Lüneburg. Um den Überblick zu behalten, wird der Lüneburger Polizeipräsident Friedrich Niehörster in den kommenden acht Tagen etwas tun müssen, was er nicht mag: Hubschrauber fliegen. Bis zu 20 000 Polizisten und voraussichtlich mehr als 30 000 Demonstranten werden im Wendland zum 12. Castortransport erwartet. Beide Seiten haben gestern in Hannover noch einmal die Hoffnung beschworen, der bislang größte Protest in der Geschichte der Region rund um das Zwischenlager Gorleben möge friedlich bleiben. Eines ist schon jetzt sicher: Es wird nicht gehen ohne Chaos auf den Straßen.

Der großflächige Landkreis Lüchow-Dannenberg hat weniger als 50 000 Einwohner, auf diese Zahl sind die Straßen ausgelegt. Und abseits der Straßen versinken Fahrzeuge jetzt, Anfang November, in den nassen Äckern. Weswegen Niehörster gestern in Hannover leicht ironisch auch für die Polizeifahrzeuge auf Nothilfe durch die Bäuerliche Notgemeinschaft (BNG) hoffte. Deren bis zu 400 Trecker sind bei jedem Transport eine harte Nuss für die Polizei, weil sie als Einzige querfeldein jeden Punkt der Transportstrecke erreichen.

Polizeipräsident Niehörster und der Chef der Bundespolizeidirektion Hannover, Thomas Osterroth, vermieden jede Zuspitzung, aber zogen klare Grenzen. Einerseits lobte Niehörster die Bürgerinitiativen vor Ort ausdrücklich für ihren "bunten und kreativen Protest". Und er machte den Aktivisten der Umweltorganisationen regelrechte Komplimente für ihre Ankett- und Abseilaktionen sowie für den Bau von Hindernissen: "Ich bin gespannt, was wir da in diesem Jahr Neues geboten kriegen."

Aber es bleibt beim Dissens mit den Atomkraftgegnern in dem angesichts der hohen Teilnehmerzahl entscheidenden Punkt: Aus Polizeisicht sind Blockadeaktionen etwa durch massenhaftes Entfernen von Schotter unter den Gleisen kein verständlicher ziviler Ungehorsam, sondern Straftaten. Der für den Schienentransport verantwortliche Präsident Osterroth von der Bundespolizei warnte: "Wo im Schutz friedlicher Demonstranten Straftaten begangen werden, ist es unser Ziel, diese konsequent zu verfolgen." Etwa ein Prozent der Demonstranten, so die Polizeischätzung, ist dem militant-autonomen Spektrum zuzuordnen.

Niehörster erinnerte daran, dass die Polizei neutral sei und für die Versammlungsfreiheit ebenso zu sorgen habe wie dafür, den Transport zu schützen. Das dieser Spagat auch den Polizisten keine Freude macht, räumte Niehörster unumwunden ein: "Es ist eine in Anführungszeichen ätzende Aufgabe, die die Polizei zu erfüllen hat." Aber der Hoffnung vieler Demonstranten, sie könnten die Castortransporte nachhaltig stoppen, trat Niehörster energisch entgegen: "Das ist eine hoch akademische Frage, wir bringen die Castoren ans Ziel." Die große Zahl der Demonstranten muss nicht automatisch zur Eskalation führen. Bereits im Jahr 2008 kamen fast 15 000 Demonstranten, mehr als je zuvor. Die Zahl der Strafverfahren aber betrug gerade mal 50, selbst für Niehörster nichts Ungewöhnliches bei so vielen Menschen. 2002 waren es noch mehr als 800 Verfahren.

Andererseits sind die Initiativen entschlossen, die Geduld der Polizei auszutesten und den Transport zu blockieren. "Durch Aktionen des zivilen Ungehorsams wird man nicht zum Straftäter", argumentierte Jochen Stay, Sprecher der Initiative "ausgestrahlt". Und Luise Neumann-Cosel für die Initiative "X-tausendmal quer" ist überzeugt von stark wachsenden Teilnehmerzahlen: "Viele Tausende werden mit uns den Schritt zum zivilen Ungehorsam machen."