Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall.

Hamburg. Es sollte schon Champagner sein. Dazu Cognac und reichlich Sekt, aber bitte nicht von der billigsten Sorte. Sie sollte schließlich nett werden, die Geburtstagparty, und nicht etwa ein mickriges Fest, das kleinlich aussehen und peinlich werden könnte, um Himmels willen! Was sollten denn die anderen denken, ihre Freunde und Verwandte mit den wohlgefüllten Portemonnaies? Dazugehören, das war ihnen wichtig. Mithalten können. Den Anschein wahren, um jeden Preis. Markus und Birgit K. haben tatsächlich einen enorm hohen Preis dafür gezahlt, dass sie ihren gesellschaftlichen Ansprüchen genügen wollten, obwohl sie es sich überhaupt nicht leisten konnten. Es hat sie zu Dieben gemacht.

Jetzt sitzen sie auf der Anklagebank im Amtsgericht, beide in ähnlichen legeren Kapuzenshirts und beide mit hängenden Schultern und schuldbewussten Mienen. Sie können es selber nicht fassen, wie es so weit kommen konnte, dass sie im Juni in einem Supermarkt insgesamt 18 Flaschen Spirituosen im Gesamtwert von fast 300 Euro stahlen. "Das fragen wir uns auch", lautet die matte Antwort von Markus K. auf die Frage des Amtsrichters nach dem Warum. "18 Flaschen, das ist ja schon allein zum Tragen kompliziert", wundert der Richter sich. Sie hätten einen Großeinkauf gemacht, wegen einer geplanten Geburtstagsfeier, erklärt der 47-jährige Angeklagte, und einen Karton mit Alkoholika unten im Einkaufswagen gelagert. "Wir haben falsch sortierte Flaschen in einem Karton noch weiter falsch sortiert und verschwiegen, dass höherwertige Dinge im Karton waren. Das ist verwerflich", geht er schonungslos mit sich ins Gericht. Und letztlich hätten sie überhaupt nichts für die Getränke bezahlt, ergänzt seine 45-jährige Frau, sondern den Alkohol für die Kassiererin schlecht einsehbar unten im Wagen gelassen.

"Es war eine absolute Kurzschlusshandlung und total falsch." Eigentlich hätten sie günstigen Sekt und "Wein für zwei Euro kaufen" sollen, ist ihre späte Einsicht. Mit dem Diebesgut kamen sie seinerzeit keine zwei Meter weit. "Ein Herr kam direkt hinter der Kasse auf mich zu und bat mich in einen Nebenraum", erinnert sich Birgit K. an die peinliche Situation. Sie habe in dem Supermarkt allein 200 Euro "Fangprämie" für den Ladendetektiv zahlen müssen, seufzt die Medizinerin.

Doch diese Summe ist fast schon Peanuts im Vergleich zu dem finanziellen Engpass, in dem das Ehepaar steckt. Beide waren sie in den vergangenen Jahren beruflich nicht gerade vom Glück verfolgt, leben seit Längerem praktisch ohne Einkünfte und damit "von der Substanz", wie Freiberufler Markus K. erklärt. Doch auch das ist eigentlich noch schöngeredet. Denn wenig später rattert der Mann eine mehr als ernüchternde Bilanz herunter, nach der das Ehepaar letztlich Schulden in Höhe eines hohen fünfstelligen Betrages drücken.

Trotzdem hätten sie eben gern eine schöne Geburtstagsparty gefeiert, meint der Angeklagte. Sie seien öfter von gut situierten Bekannten eingeladen worden. "Da gab es dann auch teure Spirituosen. Da ist man in Zugzwang", ringt Markus K. um Verständnis. Doch das hält sich bei dem Amtsrichter in diesem Fall in überschaubaren Grenzen. Er habe eine etwas andere Vorstellung "von Notsituationen. Wenn beispielsweise am 22. eines Monats das Geld zu Ende ist und die Kinder haben Hunger und man überlegt, wo man eine Tütensuppe herbekommt", rückt der Richter die Dimensionen zurecht. Gerade wenn sich die finanzielle Situation des Paares über Jahre entwickelt und zugespitzt habe, sei es eher angesagt, "die Lebensumstände dem anzupassen und den Standard etwas zurückzuschrauben. Und nicht nach dem Motto: Jetzt haben wir schon einen Haufen Schulden, jetzt geben wir ein rauschendes Fest." "Na ja, rauschend ist was anderes", wiegelt Birgit K. ab. Es klingt deprimiert.

Eine Verurteilung des Ehepaars ist nicht nötig, sind sich Staatsanwalt und Amtsrichter einig, um ausreichend deutlich auf die beiden nicht vorbestraften Angeklagten einzuwirken. Eine Geldbuße "als Denkzettel" soll ausreichen und das Verfahren eingestellt werden, meinen sie. "Bei Ihnen werden sich wahrscheinlich alle besser machen, als sie sind", überlegt Markus K., "aber bei uns wird wirklich nie wieder etwas passieren", verspricht er. Die Einstellung des Verfahrens will das Ehepaar gern annehmen, doch mit der Summe von 500 Euro je Angeklagten, die sich die Juristen vorstellen, können sich Markus und Birgit K. nicht gleich auf Anhieb anfreunden. "Ich weiß nicht, ob das noch verhandelbar ist ...", startet Markus K. noch einen Versuch. Glauben sie wirklich, ungeschoren davonzukommen? Der Denkzettel müsse jedenfalls "spürbar" sein, betont der Richter. Es bleibt bei insgesamt 1000 Euro, die sie zahlen müssen. Noch ein weiteres, selbst verschuldetes Minus für die "Substanz", von der sie leben. Die nächste Geburtstagsfeier wird wohl eher sparsam ausfallen.