Ein Aufruf von Alexander Josefowicz

Eine Graphic Novel ist kein Comic. Puh, da haben wir aber Glück gehabt. Dann darf man den Band ja in die Hand nehmen, ohne in den Ruch der Bildungsferne zu geraten. Denn Comics, so hat man uns jahrelang weisgemacht, sind nichts weiter als Kinderkram, Schund, das Papier kaum wert, auf dem sie gedruckt wurden. Eine Graphic Novel hingegen sei etwas anderes, ein Beitrag zur Erbauung des Lesers, nicht bloß schnöde Unterhaltung für kindliche Gemüter.

Diese typisch deutsche Diskussion zeugt von wenig kulturellem Selbstbewusstsein. Die Tatsache, dass Comics mehr sind als bloße Unterhaltung, künstlerisch wie literarisch anspruchsvoll sein können (was in Frankreich im Übrigen niemand bezweifelt), lässt sich in Deutschland offenbar nur etablieren, wenn man das ungeliebte Wort "Comic" vermeidet. Kleine wie große Verlage haben begonnen, das Etikett Graphic Novel auf weite Teile ihres Programms zu kleben - aus schierer kultureller Verzweiflung und ökonomischem Kalkül. Denn die selbst ernannten Verteidiger des Elfenbeinturms der schönen Künste würden vermutlich eher ihre Autografensammlung der Literaturnobelpreisträger hergeben, als einen Comic zu lesen. Erst wenn der Band mit dem Deckmäntelchen des Literarischen versehen wird, traut sich auch der Bildungsbürger.

Es ist Zeit, den Comic als das anzuerkennen, was er ist: ein Medium, eines unter vielen, weder wertloser noch wertvoller als alle anderen. Genau wie es gute und schlechte Bücher gibt, so gibt es auch gute und schlechte Comics. Doch jeden Band mit einem irreführenden Etikett zu versehen, das ist in etwa so sinnvoll wie ein "Erbauungsliteratur"-Stempel auf Verlagsprogrammen oder ein "Hochkultur"-Schild über dem Eingang der Kunsthalle. Qualität entsteht nicht durch Zuweisung von außen.