Silke Schwartau, 53, von der Hamburger Verbraucherzentrale ist Autorin des Buchs “Vorsicht Supermarkt“.

1. Hamburger Abendblatt:

Jedes Jahr landen in Deutschland geschätzte 20 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Würden Sie denn einen Joghurt essen, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum um einen Tag überschritten ist?

Silke Schwartau:

Ja, natürlich. Wenn die vorgeschriebenen Lagerungsbedingungen mitsamt der vorgeschriebenen Kühlkette eingehalten wurde, habe ich da überhaupt keine Bedenken. Wie der Name schon sagt, handelt es sich ja lediglich um das Datum, bis zu dem das Produkt mindestens haltbar ist. Anders ist es bei dem so genannten Verbrauchsdatum, zum Beispiel bei Hackfleisch. Das ist dann wirklich die Deadline.

2. Viele Verbraucher meiden jedoch Produkte, die entweder schon abgelaufen sind oder kurz davor stehen. Woher rührt diese Skepsis?

Schwartau:

Möglicherweise haben viele Menschen verlernt, wie wertvoll Lebensmittel eigentlich sind. Es wäre wichtig, hier wieder mehr Wertschätzung zu entwickeln. Es ist einfach eine Katastrophe, dass jedes Jahr pro Person 250 Kilo Lebensmittel weggeworfen werden. Das ist eindeutig zu viel, besonders wenn man bedenkt, dass weltweit rund 900 Millionen Menschen Hunger leiden. Im Verhältnis dazu sind wir viel zu verwöhnt.

3. So viel zur Mentalität der Kunden. Was tun die Supermärkte?

Schwartau:

Es werden diverse Tricks angewendet, damit die Lebensmittel immer noch besser und frischer aussehen. An der Fleischtheke zum Beispiel wird rotes Licht eingesetzt, in der Gemüseecke grünes.

4. Und Lebensmittel, die nicht einwandfrei aussehen, werden weggeschmissen ...

Schwartau:

... genau hier müsste man ansetzen. Zum Beispiel könnte man Lebensmittel kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums in ein besonders gekennzeichnetes Regal stellen und für einen geringeren Preis anbieten. Gerade für Menschen mit einem kleineren Geldbeutel wäre das eine gute Alternative. Ich bin sicher, dass die Kunden das gut annehmen würden.

5. Die Ansprüche der Verbraucher sind die eine Seite der Medaille. Welche Vorgaben werden vonseiten der Politik gemacht?

Schwartau:

Ziemlich viele. Eine ganze Reihe an Produkten kommt deshalb gar nicht erst ins Regal. Vor allem die EU hat Vorgaben gemacht, wegen denen viele Lebensmittel allein aus kosmetischen Aspekten im Müll landen. Wenn zum Beispiel ein Apfel nicht die richtige Größe oder eine Delle hat, wird er vorab aussortiert. Allein äußerliche Kriterien entscheiden und nicht die Qualität. Viele Verbraucher würde so etwas bestimmt gar nicht stören. Gäbe es diese unsinnigen Regeln nicht, könnte das massenhafte Wegwerfen sicherlich deutlich eingeschränkt werden.