Wer vor dem Tag des Volksentscheids über die Primarschule CDU-intern den denkbaren Erfolg der Primarschulgegner für eine letzte Chance der Hamburger CDU hielt, der erntete viel Zustimmung an der Basis, aber auch tiefes Schweigen in den hohen Rängen. Auch mit Blick auf die Wahlen 2012. Jetzt ist die Abwahl der Primarschule Desaster und Befreiung zugleich.

Die selbstkritische Bewertung des Desasters sollte auf zwei Ebenen stattfinden. Auf der Ebene der Inhalte muss ein bildungspolitisches Profil der CDU neu gefasst und glaubhaft vor den Wählern vertreten werden können. Auf der Ebene der innerparteilichen Kommunikation und Meinungsbildung ist zu fragen, wie es gelingen kann, dass eine obere Parteiebene die Antennen in die Mitgliedschaft und in die Bevölkerung so erfolgreich hat abklemmen können.

"In der CDU wird diskutiert, aber nicht öffentlich gestritten", hat Bürgermeister Christoph Ahlhaus auf dem Altonaer Kreisparteitag am 7. September gesagt. Dieser überraschende Gegensatz zeigt den schwierigen Lernprozess, den Führung und Basis in kurzer Zeit zu erleben haben. Für mich gilt: Politischer Streit in einer Partei ist gut und notwendig, er bedeutet engagierte Suche nach der besseren Lösung auf der Basis eines gemeinsamen Wertesystems - natürlich ist auch persönlicher Ehrgeiz ein Antrieb, und die Öffentlichkeit ist notwendig (und ohnehin unvermeidlich), damit die Bürger sehen, wo sie sich entscheiden müssen.

Und in einer Koalition gelten ohnehin zusätzliche Regeln der Dynamik: Die intern viel lebendigere GAL kann sagen, das macht unsere Basis nicht mit - die CDU hat sich mit ihrem politischen Harmoniemodell bisher dieses Mittel versperrt. Woran liegt das?

1. Wir hatten einen Bürgermeister - überragend begabt in der Kommunikation, aber zunehmend von seiner Partei emanzipiert -, der ein selbst ausgelegtes neues Leitbild "Moderne Großstadtpartei" diskussionslos vorgegeben und in der Koalition mit der GAL praktiziert hat. Seinen Abgeordneten konnte er milde andeuten, dass sie ohne ihn kaum in einer Mehrheitsposition wären.

2. Traditionell sind die Ortsvorsitzenden der Partei in der Bürgerschaft - aber es gibt da ein Problem: Der Fraktionsvorsitzende schwört die Abgeordneten auf eine bestimmte Linie ein - und im Ortsverein werden alternative Diskussionen und drohende kritische Anträge auf dem Altar der geschlossenen Außendarstellung geopfert.

3. Fachliche Kompetenz soll sich in den Landesfachausschüssen (LFAs) der CDU sammeln, nach Satzung beraten sie den Landesvorstand. Der LFA für Bildung hat sich oft kritisch zu den Grundsätzen und zur Praxis der Schulpolitik des Koalitionspartners geäußert. An diesem Frühwarnsystem war die Leitung nicht interessiert.

4. Die Deputationen, bürgerliche Beratungs- und Unterstützungsgremien der Behördenleitungen, werden jetzt nach Proporz von der Bürgerschaft besetzt. Wenn aber die Koalitionsdeputierten ihre Rolle vorrangig in freudiger Zustimmung zum Handeln der Behördenleitung sehen, entwerten sie sich und vergeben die Chance, im Vorfeld kritisch-konstruktiv zu korrigieren.

5. Unsere Landesparlamentarier sind Freizeitabgeordnete, dafür erhalten sie bundesweit die geringsten Bezüge. Konkret heißt das, dass hohes berufliches Engagement sehr schwer mit dem Mandat vereinbar ist. Davon profitiert die Exekutive (aber auch die Parteiführung!), denn Behördenleitungen können die zwei oder drei für ihre Kontrolle zuständigen Teilzeitler mit Papier zuwerfen. Die Schulbehörde hat dies in den letzten beiden Jahren mit ihrem rasenden Reformtempo und einem erheblich vergrößerten Leitungsstab knallhart illustriert - dann haben nicht die Parlamentarier, sondern die Bürger die Reißleine gezogen.

Hat sich die CDU-Basis fachlich und parteiorganisatorisch nun in der Ablehnung der Primarschule entdeckt? Mehr Partizipation heißt mehr politische Diskussion und Anträge in den Ortsvereinen, Kreisparteitage auch als Mitgliederversammlungen wie in Altona, fachliche Arbeit in aufgewerteten Landesfachausschüssen. Und bei unserem neuen Bürgermeister sollte weniger die Möglichkeit zum Anfassen gesucht werden - sondern dessen Willen, die Parteimitglieder als Antennen in die Stadt und als Ideengeber zu erleben. Das CDU-Mitgliederforum heute im Bürgerhaus Wilhelmsburg kann da eine Gelegenheit sein für eine "neue Diskussionskultur" - so ein am 21. September, ohne Diskussion, von der CDU-Delegiertenversammlung beschlossener Text. Das kann für die CDU die Chance in der Krise sein.