Türkische Hausfrau wegen Körperverletzung vor Gericht

Altona. Sie sei konsequent, jedenfalls wisse sie, wann sie ihren drei Kindern Grenzen setzen müsse. Gewalt in ihrem Haus werde streng sanktioniert. "Wer schlägt, ist automatisch schuldig!" So lautet das Credo der 36 Jahre alten, alleinerziehenden Mutter.

An 20. April hat Hülya K. indes gegen den eigenen Glaubenssatz verstoßen, indem sie die Lehrerin ihres Sohnes Muammar, 17, angriff und verletzte. Nur schuldig fühlt sich die gebürtige Türkin, die sich gestern vor dem Amtsgericht Altona wegen Körperverletzung verantworten musste, noch lange nicht. "Eigentlich", sagt sie, "gehört die Lehrerin auf die Anklagebank." Schließlich habe die ihren Sohn zuerst geschlagen, so habe er es damals am Telefon erzählt. Da sei sie gleich rüber zur Schule.

Fachlehrerin Carmen B., 60, unterrichtet seit 33 Jahren an der Carsten-Rehder-Straße, an einer Förderschule mit 80 Prozent Migrantenanteil. In ihrer Klasse hat sie mal durchgesetzt, dass rausfliegt, wer sexistische Kraftausdrücke benutzt. "Wir Lehrer sollen Sozialpädagogen und Eltern ersetzen - das können wir nicht", sagt Carmen B. und klingt angegriffen. Ein bisschen Dankbarkeit wäre wohl schön.

Doch dann diese Demütigung. Am 20. April kam Muammar fünf Minuten zu spät. Als sie ihn ins Klassenbuch eintrug, sei er gleich ausgerastet. Er habe sie mit Wörtern beschimpft, wie sie sie im Klassenraum nie mehr hören wollte. Also habe sie ihn rausgeworfen, wie so oft. Der 17-Jährige sei unberechenbar, jähzornig zuweilen, womöglich traumatisiert, nachdem sich sein Vater 2009 das Leben genommen hatte, ein Prügelknabe der Mitschüler dazu. Minuten später kehrte Muammar zurück, kletterte auf die Fensterbank und tanzte darauf. Als Carmen B. den Halbstarken am Pullover zog, habe der sich mit den Worten "Du F...., ich mach dich platt" auf sie gestürzt und einen Wasserkocher nach ihr geschmissen. Vielleicht habe sie im Abwehrkampf seinen Nacken mit der Hand gestreift, geschlagen habe sie ihn nicht, sagt Carmen B. Zwei Schüler und ein Lehrer konnten den Jungen zur Räson bringen.

In der Pause, begleitet von einem Mob älterer Schüler, sei dann plötzlich Hülya K. auf sie zugestürmt. "Wie ein Tiger hat sie sich auf mich gestürzt, ich wusste gar nicht, wie mir geschah", sagt Carmen B. Zurück blieben zwei blaue Flecken und eine posttraumatische Belastungsstörung. "Ich habe sie nur festgehalten", sagt indes Hülya K. "Warum haben Sie Frau B. nicht gefragt, ob an den Vorwürfen Ihres Sohnes etwas dran ist?" will der Richter wissen. Darauf weiß Hülya K. keine Antwort.

Der Richter baut ihr aber eine goldene Brücke. 300 Euro Schmerzensgeld als Satisfaktion für die Lehrerin, eine Summe, die der Hartz-IV-Empfängerin spürbar wehtut, so verlangt es Nebenklägerin Carmen B. Dafür stellt der Richter das Verfahren vorläufig ein. "'Tschuldigung, Frau B.", wispert Hülya K. mit dünnem Stimmchen. Da klingt sie auf einmal ganz friedfertig.