In der Tierklinik Norderstedt, einer der modernsten Europas, werden täglich bis zu 130 tierische Patienten versorgt. Eine Visite.

Sieben Stufen führen hinauf in die im freundlichen Weiß gehaltene Villa im Kabels Stieg 41 in Norderstedt. Sieben Stufen, die Herbeieilende so oft mit bangem Herzen aufsteigen. Die sie, wenn auch nicht immer, später mit leichten Schritten und frischer Hoffnung wieder herunterfliegen. "Tierklinik Norderstedt" steht am Eingang auf einem Keramikschild, das die Silhouette eines weißen Hundes ziert. "Magunna in Norderstedt", so das populäre Kürzel, das Frauchen und Herrchen von leidenden Lieblingen im ganzen Land weiterempfehlen. Es war Eberhard Magunna, der in den 70er-Jahren mit dem Aufbau der Klinik begann. An seiner Seite haben sein Sohn Christian Magunna und Professor Rafael Nickel das Haus in Norderstedt an die Spitze der Tiermedizin in Deutschland und Europa geführt. Nickel war auch als Sportler ein Könner. Bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles gewann der Hamburger Degenfechter mit der deutschen Mannschaft Gold.

Das interessiert Bessy nicht. Am Eingang empfängt das mächtige, acht Monate alte Bernhardiner-Mädchen jeden neuen Besucher mit leidendem Blick. "Ihre Gelenke sind entzündet", teilt die Besitzerin mit. "Es wird eine Computertomografie gemacht", sagt ihr Mann, "und dann gleich operiert. So braucht sie nur eine Narkose." Ein tiefer Seufzer aus der Ecke scheint die Sorgen des Rentnerehepaares zu unterstreichen.

Hannes, der drei Jahre alte Weimaraner, liegt niedergestreckt auf dem Boden. Auf seinem grauen Samtfell zeichnen sich Flecken ab, gewaltigen Durst hat er dazu, und sein Blutbild sei besorgniserregend, flüstert Frauchen.

Vom Warteraum nebenan ist ein herzzerreißendes Miauen zu vernehmen. Kater Pixie muss zur Nachuntersuchung. "Drei Tage war er hier an den Apparaten und Schläuchen", erzählt Frauchen in gedämpftem Ton. Und fügt mit Anerkennung und einem gewissen Stolz hinzu: "Die sind hier mit Apparaten ausgestattet, ich glaube, manches Kreiskrankenhaus wäre froh darüber."

"Von der Radiojodtherapie und der Dialyse für nierenkranke oder auch vergiftete Tiere, von der Tumoroperation und der Chemotherapie bis zu künstlichen Gelenken und Zähnen - in der Tiermedizin wird inzwischen fast alles angeboten, was auch bei uns Menschen machbar ist", sagt Professor Nickel, als er seine Führung durch die Klinik beginnt. Rechts das Röntgengerät, bei dem die Aufnahmen sofort auf dem Computermonitor zu begutachten sind, "hier unser Dialyseraum".

Auf einer wärmenden Decke liegt, von Zeit zu Zeit leise stöhnend, die kleine Lupo, eine Mischlingshündin. Sie schaut kurz auf und schließt wieder müde ihre Augen, als wolle sie keinen Menschen mehr sehen. Lupo hat irgendwo einen Leckerbissen mit Rattengift verschlungen. "Wir infundieren ihr ein Gegengift", sagt Nickel. Auch zeit- und geldaufwendige Dialyse für Hunde und Katzen bietet die Klinik an "Aber nur bei akuten Vergiftungen oder vorübergehenden Nierenerkrankungen", sagt der Professor, "nicht bei chronisch kranken Patienten." Aufwand, Leiden und auch die Lebenserwartung der Tiere stünden bei dieser Behandlung in keinem akzeptablen Verhältnis.

Ob nun Magnetresonanztomografen oder Gammakameras, um Durchblutungsstörungen zu diagnostizieren, ob Bandscheiben-, Tumoroperationen oder Chemotherapien, ob Zahnimplantate, Hüften aus Titan oder Hörgeräte - mit allem, womit man Menschen hilft und heilt, kann man inzwischen auch Tiere von Krankheit und Schmerzen befreien. Das ist die eine Seite. Die andere: Wie weit ist es moralisch vertretbar, seinem Hund für ein paar Tausend Euro neue Zähne, neue Hüften oder Sehnen einpflanzen zu lassen? Die Einstellung und die Grenzen haben sich in dieser Frage in den vergangenen Jahren entscheidend verschoben.

Nach einer Umfrage umsorgen und behandeln inzwischen rund 60 Prozent der Deutschen ihre Haustiere ähnlich wie Familienmitglieder, oft ohne zu ahnen, welche Kosten dabei entstehen können. Und so nebenbei erzählt der Professor diese kleine Geschichte: Da war dieser Bauer, der so gern über die Stadtleute im Allgemeinen und die Weibsleute im Besonderen wegen ihrer übertriebenen Fürsorge und Anhänglichkeit zu ihren vierbeinigen Freunden lästerte. Als dann aber seine alt gewordene Hündin wegen ihrer Schmerzen nicht mehr auf den Traktor springen konnte, ist er heimlich nach Norderstedt gefahren und hat ihr ein neues Hüftgelenk spendiert. Als er sich zum Abschied mit einem festen Händedruck bedankte, wandte er sich noch einmal um zu dem Doktor: "Ober vertell dat man bloß kien Mensch, de denkt sunst, ik bün all dösich worn." Auf dem Land, sagt Nickel, gilt der Besuch beim Tierarzt oft noch als Eingriff in die Natur und damit fast als unanständig.

Brigitte Gan und ihre laut klagende Pixie haben vor 16 Jahren in Singapur zusammengefunden. Das zarte, getigerte Straßenkätzchen hatte im Treppenhaus eines Mietskomplexes seine Zuflucht gefunden. Da sie lieb und freundlich war, wurde sie von einigen Bewohnern gefüttert; von anderen aber bei der Verwaltung denunziert, sozusagen. "Als die Katzenfänger von der Stadt anrücken sollten", erzählt Brigitte Gan, "haben wir Pixie bei uns aufgenommen. Mein Mann hatte ja schon zwei Katzen von der Straße mit nach Hause gebracht. Als wir nach Hamburg umzogen, haben sie mir oft über mein Heimweh nach Singapur hinweggeholfen."

Ob sie dann hier, in der Tierklinik Norderstedt, der kläglich mauzenden Patientin eine neue Niere einpflanzen könnten? "Technisch möglich wäre das", sagt Rafael Nickel, Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin. "Das Problem in Deutschland ist nur: Wie kommen wir an ein Spenderorgan? In den USA ist das einfach. Da holt man sich eine gesunde Katze aus dem Tierheim und lässt von dieser eine Niere seinem kranken Tier transplantieren. So etwas ist bei uns verboten. Wir haben ja schon große Probleme, Blutspender für Katzen und Hunde, was in Deutschland erlaubt ist, zu finden."

Während der Tierarzt noch erwähnt, dass es bei Hunden sechs und bei Katzen drei Blutgruppen gibt, öffnet der Hausherr nach einem Gang durch den Garten die Tür zum eigentlichen Zentrum der Hightech-Medizin für Kleintiere. Aber was heißt hier Kleintiere. Die aus Hagenbeck sind schon mit einem Sibirischen Tiger angereist, mit Löwen oder Riesenschlagen, die betäubt und festgeschnallt in den Magnetresonanz- (MRT) oder Computertomografen (CT) geschoben wurden. "Auch Seehunde hatten wir hier", erzählt Nickel, "deren Lungen sind bis zu einem Meter lang. Und bei einem Orang-Utan haben wir Schichtaufnahmen von seinem Bauch gemacht."

Durch Mundschutz und blaue OP-Kappe sind von Christian Magunna nur die Augen zu erkennen. Vor ihm auf dem Tisch liegt lang gestreckt und zugedeckt ein Beagle. An der herausgestreckten Zunge ist ein Kabel mit einer Klammer befestigt. So werden Herzfrequenz und Blutdruck kontrolliert. Durch einen Tubus im Maul wird dem schlafenden Vierbeiner Sauerstoff und das Narkosegas zugeführt. "Das ist ein hochwertiges und recht teures Gerät aus der Humanmedizin", sagt der Chirurg, Spezialist für alles, was mit Gelenken, Knochen und Sehnen zu tun hat. "So können wir die Narkose sehr fein und damit schonend auf den jeweiligen Patienten einstellen." Der Chirurg ist über den Hinterlauf des Hundes gebeugt. "Sein Kreuzband ist gerissen. Dabei ist ein Stückchen Knochen heraus gebrochen. Sehen Sie hier, dieser kleine weiße Schnipsel." Magunna zeigt auf die MRT-Aufnahme, die auf seinem Computerbild aufleuchtet.

15 Ärzte stehen in der Privatklinik Tag und Nacht sieben Tage pro Woche für täglich 80 bis 130 Patienten bereit. Und Herrchen und Frauen kommen oft von weit her, um die zum Doktor zu bringen, die ihnen ans Herz gewachsen sind. Und für die sie Verantwortung zeigen, selbst wenn sie sich bei Verwandten und Freunden Geld für aufwendige Therapien oder Operationen leihen müssen. "Ob unsere Damen am Empfang, ob unsere Helferinnen oder wir Ärzte, in die Tiermedizin drängt es nur Menschen, die ein Herz für die Patienten haben", sagt Professor Nickel. "Das ist überall in der Welt nicht anders. Ein Tierarzt", fügt er noch hinzu, "verdient, grob geschätzt, etwa die Hälfte eines Humanmediziners." Nickel hat für inkontinente Hunde und Katzen eine chirurgische Methode mit einer Art Silikonschleife entwickelt. "Die aber wird inzwischen meistens bei Menschen angewandt", fügt er lächelnd hinzu.

Ein paar Stufen abwärts, die letzte Station auf dem Rundgang: die Radiologie. Christian Franke, der Nuklearspezialist, ein Humanmediziner, hat gerade einen Kater mit radioaktivem Jod behandelt. "Damit therapieren wir Katzen, die an einer Überfunktion der Schilddrüse leiden. Die Krankheit nimmt rapide zu." Wie können die Tierhalter das erkennen? "Die Tiere magern ab, trinken ungewöhnlich viel, und manchmal können sie auch aggressiv werden." Und wie groß sind die Heilungschancen? "Bis zu 90 Prozent", sagt Franke. "Ein kleiner Nachteil allerdings ist, nach der Behandlung müssen die Katzen zehn Tage bei uns bleiben. Dem Gesetz nach sind Tiere ja eine Sache. Die aber dürfen in Deutschland nicht radioaktiv strahlen. Also sammeln wir den strahlenden Kot und entsorgen ihn. Übrigens, Menschen, die sich einer solchen Therapie unterziehen, strahlen viel stärker, daran stört sich niemand."

Auch wenn Bessy, das Bernhardiner-Mädchen mit dem verträumten Blick, und Hannes, der Weimaraner mit den schlechten Blutwerten, oder Pixie, die alte Katzen-Dame aus Singapur, juristisch nur eine leblose Sache sind, laut Tierschutzgesetz ist jeder Tierarzt verpflichtet, ihnen die notwendige Hilfe zukommen zu lassen. Da ist es erst einmal egal, ob da jemand ist, der das Honorar begleicht. In der Tierklinik Norderstedt bleiben immer Rechnungen von etwa 80 000 Euro im Jahr offen.

Im privaten Kreis erzählte einmal ein Tiermediziner von einem seltsamen Besuch. Da saß dieser Mann, dem man ansah, dass er nie ein Freilos im Leben gezogen hatte. Eng an seinem Bein, der Hund, bereits grau um die Schnauze. "Seit 13 Jahren weicht er nicht von meiner Seite", sagte der Mann. "Der Hund hat doch nur mich. Aber ich muss in den Knast. Ihn werden sie ins Tierheim bringen. Er wird dort seine letzten Jahre bleiben. So ein altes Tier will doch keiner mehr. Herr Doktor, bewahren Sie das Tier vor so einem Ende." Dem Mann rannen Tränen über das Kinn. Wie hätte man da selbst entschieden?

Die Frau, die mit ihrem Tarienchen im Sprechzimmer auf Professor Nickel wartet, ist auch von der Sorge geplagt, ihre Hündin nicht länger leiden zu sehen. Die beiden sind aus dem niedersächsischen Asendorf rund 80 Kilometer angereist. Die Tierärztin im Ort hatte ihr die Klinik in Norderstedt als letzte Hoffnung empfohlen. Woran die fast zwölf Jahre alte zutrauliche Hündin leidet, ist nicht zu überhören. Taras Atem geht schwer. Sie bekommt nicht genügend Luft. "Ihr Kehlkopf ist halbseitig gelähmt", sagt Nickel. "Das kann ich operieren." - "Aber wie gefährlich ist der Eingriff?", will Bärbel Sieglerschmidt wissen, "und wird ihr das auch wirklich helfen?" - "Wir machen nur einen kleinen Schnitt hier oben am Hals", beruhigt der Doktor und erläutert den Eingriff an der Aufnahme eines anderen Patienten. "Mit dieser Operation habe ich viel Erfahrung, und ich kann Ihnen zusagen, ihre Tara wird danach besser Luft bekommen als vor ihrer Erkrankung." Nur das unruhig schlagende Herz der röchelnden Patientin macht dem Doktor Sorgen. "Da müssen Sie vorher noch ein EKG und eine Ultraschalluntersuchung machen lassen. Danach können Sie sich entscheiden."

Die Operation wird 860 Euro teuer, dazu Narkose, Labor, Beratung. "Mit 1100 Euro müssen Sie insgesamt rechnen", sagt der Professor. "Tarienchen hat ja schon immer 'hier' gebellt, wenn Krankheiten zu verteilen waren", sagt Bärbel Sieglerschmidt und krault ihrer Gefährtin die Ohren. "Wenn ich alles zusammenrechne, mehr als 3000 Euro hat sie uns schon gekostet. Aber die haben uns dicke Zinsen gebracht - für die Seele. Einschläfern? Nein! Wir haben doch eine Verantwortung für das Tier. Wir müssen ihr doch helfen."

PS: Eine Woche später hat Professor Nickel in der Tierklinik Norderstedt die Hündin erfolgreich operiert. Und Bärbel Sieglerschmidt kann morgens und abends mit Tarienchen wieder ihre langen Spaziergänge machen.