Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt über den kuriosesten und spannendsten Fall der Woche.

Der Mann ist kaum wiederzuerkennen. Geradezu kraftstrotzend sah Khurram B. früher aus. Massig und muskulös. Mittlerweile ist der Bizeps geschwunden, und mit ihm elf Kilo Gewicht. Es liegt wohl vor allem an dem mangelnden Zugang zu Anabolika und Steroiden, deren Konsum früher wie selbstverständlich zum Tagesablauf des 24-Jährigen gehörte, um seinen Körper wirkungsvoller stählen zu können.

Doch in der Untersuchungshaft gibt es keine Chance, sich mithilfe von Medikamenten künstlich aufzupumpen, dort, wo der junge Mann seit fünf Monaten einsitzt. Seit jenem Abend, als er einer Frau furchtbare Gewalt angetan hat. Seit jener Tat, die ihn jetzt als Angeklagten wegen Vergewaltigung, Körperverletzung und versuchter Nötigung vor das Landgericht gebracht haben.

Laut Staatsanwaltschaft hatte der Mann am 18. Februar in der Wohnung einer Bekannten die junge Frau plötzlich auf ihr Bett geworfen, sie mit Schlägen ins Gesicht verletzt, ihr den Mund zugehalten und sie missbraucht. Als ein Bekannter, alarmiert durch die Schmerzensschreie des Opfers, an der Tür klingelte, so die Anklage weiter, habe er der 22-Jährigen gedroht, er werde sie umbringen, wenn sie nur ein Wort sage.

Jetzt traut der Mann sich selber kaum, das Wort zu erheben. Mit gesenktem Blick sitzt er da, zerknirscht, wie es scheint. "Ich schäme mich, ich bin über die Tat zutiefst betroffen", lässt Khurram B. durch seine Verteidigerin erklären. Er wolle mit seinem Geständnis dem Opfer unbedingt einen Auftritt vor Gericht ersparen. Er habe indes an das Verbrechen keine konkrete Erinnerung, vielleicht habe er das Geschehen auch "verdrängt, weil ich das wirklich nicht bin". Er habe zu jener Zeit Anabolika und Testosteron genommen, zudem an dem Abend, der in dem Gewaltexzess endete, zum ersten Mal in seinem Leben Alkohol getrunken. Laut Anklage hatte der Mann, der als Türsteher arbeitet, 1,6 Promille. "Ich frage mich, was in mich gefahren ist. Ich bin eigentlich ein friedlicher Mensch", heißt es in seiner Erklärung weiter. "Gern würde ich es rückgängig machen."

Die Zeit zurückdrehen zu können. Das Grauen aus ihrem Leben zu radieren: Danach sehnt sich Annika P. (Name geändert) noch mehr. Ihre Unbeschwertheit zurückzubekommen, ihre Gesundheit, ihr früheres Leben. Doch heute ist nichts mehr, wie es war. Verschlossen ist die 22-Jährige geworden und misstrauisch, erzählt ihr Lebensgefährte im Prozess als Zeuge. Sie hat ihre Wohnung gewechselt und kann ihrer Arbeit als Verkäuferin nicht mehr nachgehen. Wegen depressiver Phasen ist sie in psychologischer Behandlung. Kein Wunder, bei allem, was sie durchgemacht hat. Sie, die ihrem Bekannten Khurram B. vertraut hatte, die sich mit ihm getroffen hatte, weil er sie wegen eines eventuellen Nebenjobs hatte beraten wollen. Der dann plötzlich wie wild geworden auf sie losging, der ihre Hilferufe und Schmerzensschreie ignorierte, der sie auf besonders demütigende Art missbrauchte.

Bei der Polizei hatte die 22-Jährige kurz nach dem Verbrechen ihr Leiden geschildert, eine Aussage, die auf Video aufgezeichnet wurde und jetzt im Prozess abgespielt wird. Eine zarte, verstörte, verängstigte junge Frau ist dort zu sehen, die jedoch irgendwie funktioniert, die das Geschehene abspult. Die dann zusammenbricht, regungslos dasitzt, apathisch. Am Ende ihrer Kräfte.

Warum der Angeklagte ihr das angetan hat? Warum er an jenem Abend zum ersten Mal Alkohol konsumierte? Und dann gleich Wodka in großen Mengen? Das Gericht versucht, die Tat und ihre Vorgeschichte zu durchleuchten. Doch der 24-Jährige kann es selber nicht erklären. Ein Ansatzpunkt ist aus Sicht der Verteidigerin der Konsum von Anabolika und Testosteron in Verbindung mit Alkohol, was zusammen zu erhöhter Aggression führen könne. Doch ein Sachverständiger erklärt, dass Anabolika nicht auf das Gehirn wirke, eine Wechselwirkung mit Alkohol bestehe nicht, allenfalls die Libido könne etwas verstärkt werden.

Auf vier Jahre Freiheitsstrafe erkennt das Landgericht schließlich für Khurram B. Zudem muss der 24-Jährige 9000 Euro Schmerzensgeld an das Opfer zahlen und finanziell für alle Schäden aufkommen, die durch die Tat entstehen. Aus Sicht des Landgerichts ist eine verminderte Schuldfähigkeit jedenfalls nicht auszuschließen, erklärt der Vorsitzende Richter. Das Opfer hatte in seiner Aussage betont, dass der Angeklagte "betrunken" gewesen sei. Dazu komme eine gewisse Aggressivität als Nebenwirkung der Anabolika.

"Sie haben eine sehr schwere Straftat begangen", mahnt der Richter. "Sie haben eine Frau vergewaltigt, erniedrigt, gedemütigt und gequält." Es sei ein Verbrechen, dessen Folgen für das Opfer "immens sind". Annika P. habe sich von einer lebensfrohen Person zu einer misstrauischen und ängstlichen Frau gewandelt. "Sie wird nie mehr jemanden unbekümmert in ihre Wohnung lassen. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Sie allein. Und nicht der Alkohol oder die Präparate, die Sie genommen haben." Khurram B. nickt. Verhalten, wie in Zeitlupe. Die Erkenntnis scheint zu ihm durchzudringen. Langsam - aber beständig.

Die nächste Kolumne erscheint am 20. August