Joshua lebt derzeit in einem Einzelgehege - der Rothirsch befindet sich in der Brunft.

Stellingen. Joshua röhrt nicht, er jodelt. Hoch und hell ertönen seine Rufe, irritierend anders, als man es von so einem stattlichen Tier annehmen würde und als man es auch von seinem bei uns heimischem Verwandten, dem Rothirsch, gewohnt ist. Doch das dezentere Liebessäuseln sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wapiti Joshua ein Hirsch in der Brunft ist. Und mit denen ist, Stimmlage hin oder her, nicht gut Kirschen essen.

Deshalb ist derzeit auch wieder Einzelgehege angesagt für ihn, hier, an der nördlichen Flanke von Hagenbecks Tierpark. "Wir halten ihn abgetrennt von den Weibchen, in einem angrenzenden Gehege, und betreten dieses selber auch nicht", sagt Benjamin Krüger. Der Tierpfleger und seine Kollegen wissen, dass der Hirsch mit steigendem Testosteron-Spiegel zunehmend aggressiver wird und die Pfleger als vermeintliche Nebenbuhler angreifen würde. Krüger: "Das beginnt im August und geht bis ins Frühjahr."

So lange lebt Joshua abgetrennt von der Herde - in freier Wildbahn würde er sich in dieser Zeit ebenfalls von den Weibchen entfernen und zu seinem Brunftrevier ziehen, wo er mit anderen Männchen Kämpfe austrägt. Als Sieger dürfte er sich verpaaren, und hier wird es bei einem Einzelgehege schwierig: Wie nur soll Joshua zu den Weibchen gelangen? "Gar nicht", sagt Krüger und lacht. "Aber die Weibchen kommen zu ihm." Dass das funktioniert, ist durch ein sogenanntes Liebesgitter möglich, das auch bei anderen Tierarten zum Einsatz kommt: Im Zaun zwischen den Gehegen ist eine Aussparung, durch die die zierlicheren Wapiti-Weibchen hindurchpassen, Joshua mit seiner Körpermasse und dem Geweih jedoch nicht. Ein Einbahnstraßenprinzip, das die Damen gerne nutzen, wenn ihnen danach ist.

Wapitis zählen zur Familie der Hirsche, in der sie in der Größe nur vom Elch übertroffen werden. Sie können eine Schulterhöhe von 1,50 Metern und ein Gewicht von bis zu 450 Kilogramm erreichen. "Joshua dürfte so seine 300 Kilogramm haben", schätzt Benjamin Krüger das neun Jahre alte Männchen ein. 2001 wurde der Hirsch bei einem Züchter geboren und kam im Mai 2002 in die Hagenbecksche Gruppe. Hier lebt er seitdem mit zwei älteren und einem jüngeren Weibchen zusammen.

Den Namen Wapiti bekam das in Nordamerika heimische Tier von den Shawnee-Indianern verpasst. Es bedeutet "weißes Hinterteil" und spielt auf den hellgelben Spiegel der Wapitis an. Ihr Sommerfell ist leuchtend gelb bis rotbraun, ihr Winterfell graubraun. Kopf, Hals und Beine sind dunkelbraun. Jungtiere, die nach einer Tragzeit von rund 260 Tagen und mit etwa 15 Kilogramm Gewicht geboren werden, haben bis zum Alter von drei Monaten weiße Flecken. Benjamin Krüger schätzt die Wapitis: "Das sind wirklich angenehme, ruhige Tiere."

Kein Wunder, dass ihnen in der Mythologie der Indianer Eigenschaften wie Graziösität, Sanftmütigkeit und Dankbarkeit zugeschrieben werden. Wenn da nur nicht die Sache mit dem Geweih wäre. Bis 1,5 Meter kann es, von Spitze zu Spitze, messen und dabei 20 Kilogramm schwer werden. "Und die Geweihspitzen haben es wirklich in sich", sagt Benjamin Krüger. Noch ein Grund, Joshua besser während der Brunft zu meiden.

Hagenbeck-Besucher können sich davon übrigens überzeugen: Vor dem Zaun haben die Tierpfleger ein Geweih zum Anfassen und Hochheben aufgehängt - ein äußerst beliebtes Fotomotiv, um hier jemandem "die Hörner aufzusetzen". Da es sich jedoch um ein Geweih handelt, wirft Joshua es im Frühjahr, wie schon seine Vorgänger, regelmäßig ab. Auf dass ihm sogleich ein Jahr für Jahr größeres Geweih nachwächst. Krüger: "Wenn vor dem Abwurf die Basthaut darauf zu jucken beginnt, stellen wir Joshua einen sogenannten Fegebaum ins Gehege. Daran kann er sich die Basthaut dann abreiben."

Gefüttert werden die Wapitis, die sich in ihrer Heimat überwiegend von Gras, aber auch von jungem Laub, Wurzelknollen, Eicheln, Bucheckern, Kastanien und Zweigspitzen von Nadelhölzern ernähren, im Tierpark mit Gras, Heu und Pellets. Im Winter kommen noch Futterrüben dazu. "Damit die Zähne nicht zu lang werden, legen wir auch regelmäßig Buschwerk und Äste hinein, so werden die Zähne beansprucht", sagt Krüger.

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