Sigmar Gabriel und die Sozialdemokraten sollten an das Scheitern von Kanzler Schröder denken und die Fehler vermeiden, die zur permanenten Zerreißprobe führten.

Die Linkspartei ist in den Umfragen ein wenig abgesackt, so beschloss Gregor Gysi, auf Kosten der SPD Stimmung zu machen. Der Linken-Fraktionschef forderte die Sozialdemokraten vergangene Woche auf, die neuen Hartz-IV-Sätze im Bundesrat zu stoppen. Die SPD müsse jetzt zeigen, ob sie "endlich Oppositionspartei" geworden sei oder "immer noch eine halbe Regierungspartei".

Die ernsthafte Antwort auf Gysis rhetorische Frage kann nur lauten: Wenn die SPD bei der Bundestagswahl 2013 an die Regierung kommen und den Kanzler stellen will, muss sie in der Opposition als "halbe Regierungspartei" auftreten. Sonst ist sie die Macht, falls sie sie gemeinsam mit den Grünen überhaupt erringt, schnell wieder los.

Dass im Machtgewinn schon der Keim des Machtverlustes stecken kann, hat die SPD 1998 erlebt, als Rot-Grün schon einmal Schwarz-Gelb ablöste. Die SPD-Spitzen Lafontaine und Schröder machten damals vieles traumwandlerisch richtig, was zu einem triumphalen Wahlsieg führte. Davon kann die heutige SPD mit ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel nur lernen. Gleichzeitig muss sie die Fehler von Schröder und Lafontaine vermeiden, die dazu führten, dass die rot-grüne Regierungszeit zur permanenten Zerreißprobe für die SPD wurde und mit der Abspaltung der Linkspartei endete.

Richtig ist es, dass Gabriel trotz Einkesselung durch Linkspartei und Grüne im politischen Spektrum versucht, die SPD thematisch und personell möglichst breit aufzustellen. Er muss klassische "linke" SPD-Wähler zurückgewinnen, darf gleichzeitig aber Wähler aus der bürgerlichen Mitte nicht abschrecken. Lafontaine (links) und Schröder (rechts) standen seinerzeit schon als Personen für ein breit gefächertes Angebot, heute können es Gabriel, Steinbrück und Steinmeier sein. 1998 gelang es, aus der teilweise inszenierten Konkurrenz der beiden Spitzenleute ein spannendes Rennen um die Kanzlerkandidatur zu machen. Das steigerte auch bei Gegnern und Unentschiedenen das Interesse an der SPD. Gabriel scheint diese Aufführung wiederholen zu wollen. Er lässt die K-Frage geschickt offen. Hoffentlich ist er auch so klug, wie damals Lafontaine auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten, falls ein anderer bessere Wahlchancen hat.

Die SPD-Spitze agierte vor der Bundestagswahl 1998, um auf Gysis Eingangsfrage zurückzukommen, als Oppositionspartei. Was die Regierung Kohl anpackte, lehnte sie ab. Über die damalige SPD-Mehrheit im Bundesrat organisierte Lafontaine eine Blockade unpopulärer erster Sanierungsmaßnahmen der Sozialsysteme. Und was die SPD aus formalen Gründen nicht blockieren konnte, versprach sie nach ihrem Wahlsieg wieder zu kippen, etwa Norbert Blüms "demografischen Faktor" bei der Rentenformel.

Und so geschah es auch. Das war der Anfang vom Ende der Regierung Schröder. Denn es dauerte nicht lange, da sah sich der SPD-Kanzler zu noch viel härteren Sanierungsmaßnahmen als Kohl gezwungen. Das machte Lafontaine nicht mit, und die SPD hat es zum Teil bis heute nicht verstanden und akzeptiert.

An Schröders Scheitern sollte Gabriel denken, wenn zum Beispiel sein Fraktionsvize Hubertus Heil in diesen Tagen fordert, bei den Hartz-IV-Sätzen "nicht nach Kassenlage" zu entscheiden. Oder sich dessen Kollege Joachim Poß, in derselben Wortwahl, gegen eine Bundeswehrreform "nach Kassenlage" ausspricht. Klingt gut und edel, aber wer eine Bundesregierung führt, muss schon auch auf die Kassenlage achten. Und je früher er damit anfängt, umso länger und erfolgreicher wird er sich im Amt halten.

Beim Abrücken von der Rente mit 67 hat Gabriel schon mit einem Fuß die schiefe Bahn betreten. Er mag sich davon die Rückkehr mancher Stammwähler erhoffen, aber er stärkt gleichzeitig den Zusammenhalt von Schwarz-Gelb. Ähnlich ist es mit der Distanzierung der SPD vom Bahnprojekt "Stuttgart 21". Eine SPD angreifen, die aus wahltaktischen Gründen von eigenen Beschlüssen abrückt - damit kann Angela Merkel die Reihen der CDU fester schließen als mit jeder Konservatismus-Debatte.

Als die Grünen bei einem Umfrage-Institut kürzlich für einen Tag mit der SPD gleichzogen, erklärte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann diesen Erfolg so: Die Grünen seien halt eine "Wohlfühlpartei". Was ja nur bedeuten kann, dass die SPD sich bei Rot-Grün als der führende Partner mit der manchmal unangenehmen Pflicht zur Verantwortung sieht. Als "halbe Regierungspartei" eben, auch in der Opposition. Der Rest bleibt für Gysi.