Die Ampelmännchen aus Ost (mit Hut) und West (ohne) haben schon manchen Kampf ausgefochten. Aber am Ende reichen sie sich doch die Hände.

Es war einmal ein kleiner Junge, dem waren ostdeutsche und westdeutsche Ampelmännchen egal. Er kannte nur das eine, das reichte ihm. Es trug einen Hut, sah niedlich aus und schien nützlich zu sein. Denn mit der Existenz des Ampelmännchens ging die einfache Botschaft einher: Bei Rot bleibe stehen, bei Grün darfst du gehen. Mehr musste man als Kind nicht wissen.

Ein paar Jahre später, mittlerweile gab es neue und alte Bundesländer, war aus dem kleinen Jungen ein größerer, pubertierender geworden. Er trug lange Haare, zu enge Hosen und kämpfte mit Hautproblemen. Seine Interessen kreisten um Musik, Mädchen und Marx, aber nicht um ostdeutsche und westdeutsche Ampelmännchen. Alle Ampeln waren ihm egal. Denn die gruppendynamisch verordnete Jugendrebellion besagte: Zum Teufel mit den Ampelmännchen, ich gehe, wann's mir passt!

Erst später erfuhr er, dass es just in dieser Zeit massive Proteste in den neuen Bundesländern gab. Vielen Ostdeutschen waren die Ampelmännchen nicht egal, sie kämpften um ihre niedlichen Hut-Träger, schließlich sollten sie von einem nicht so niedlichen westdeutschen Glatzkopf ersetzt werden, weshalb für viele klar war: Hier das ostdeutsche Ampelmännchen, dessen Erfinder der Verkehrspsychologe Karl Peglau ist. Ein putziges, untersetztes Figürchen mit Sombrero und Fans, das dynamisch, liebenswert und immer ein bisschen unbedarft wirkt, aber ein herzensguter Typ ist. Dort die nüchterne westdeutsche Entsprechung, funktionstüchtig, ein Erfinder ist nicht bekannt. Der Westmann wirkt angepasster, ein stromlinienförmiger Strichmensch ohne nennenswerte Eigenschaften und Anhänger, von dem bezweifelt werden durfte, dass er überhaupt ein Herz hat.

Klischee und Wahrheit vermischten sich, vermutlich tat man beiden Männchen unrecht. Doch die ostdeutsche Seele kochte, schließlich war das 1969 erstmals am Berliner Prachtboulevard Unter den Linden in Betrieb genommene Ost-Ampelmännchen nicht nur Hut-, sondern auch Sympathieträger. Über die Jahre erarbeitete es sich den Ruf einer identitätsstiftenden Galionsfigur, die mehr als 20 Jahre hinter dem Eisernen Vorhang fristen konnte, aber nun, nach dem Fall der Mauer, in einem harten Verdrängungswettbewerb mit seinem westdeutschen Pendant stand. Wie vieles andere auch.

Am Anfang verstand der Junge die Aufregung nicht, stellten doch ost- und westdeutsche Ampelmännchen eine ideale Metapher für das wiedervereinigte Deutschland dar. Sie waren sich noch nie begegnet und doch Brüder im Geiste. Sie wollten Wegweiser in aufregenden Zeiten sein, besaßen das gleiche Farbspektrum und leuchteten mal rot und mal grün. Schön einheitlich. Eigentlich.

Je mehr der Junge jedoch über die Brüder-Beziehung der Ampelmännchen nachdachte, desto klarer wurde ihm: Geschwister sind unterschiedlich. Mitunter taugen sie sogar zur ideologischen Überhöhung, wenn gerade eine Ostalgiewelle über das Land schwappt mit der Meinung im Schlepptau, dass nicht alles schlecht war. Außerdem streiten Brüder, messen sich, sind sich nicht immer grün. Dann kämpft jeder um seine Identität. Nichts anderes war auch bei den Ampelmännchen passiert.

Diese Auseinandersetzung dauerte einige Zeit, endete aber mit dem Schluss, dass es Toleranzbereiche geben muss. Bereiche, in denen man erkennt, dass man zwar verwandt, aber nicht identisch ist. Und wer das akzeptieren konnte, fand Freude am Anderen. So funktioniert das bei Brüdern, so funktionierte es bei den Ampelmännchen.

Mittlerweile ist der Junge ein Mann und denkt über Toleranzbereiche im Ampelmännchenland nach. Er konstatiert, dass ein wohltuender Austausch stattgefunden hat, weshalb beide Ampelmännchen koexistieren dürfen. Jedes mit eigener Identität, aber dennoch zusammen. Wenn man so will, regeln sie ihre Sachen gemeinsam, und manchmal treffen sie sich sogar. Etwa in Westberlin und im Nordrhein-Westfälischen, wo der Ost-Mann zwischen Westlern den Verkehr regelt. Oder bei der Ampelmann GmbH, mit der ein Schwabe Millionenumsätze mit T-Shirts und Taschen mit Ampelmannaufdruck macht. In Berlin reichten sich beide jüngst sogar die Hände - auf dem Gewinnermotiv des Bundesplakatwettbewerbs "Deine Deutsche Einheit". Gibt es eine schönere Geschichte als sich verbrüdernde Ampelmännchen?