Auf der “Ubena“ atmen die Seeleute Segler-Romantik. Das Schiff ist ein originalgetreuer Nachbau einer Hansekogge aus dem 14. Jahrhundert.

Hamburg. Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Die "Ubena von Bremen", ein originalgetreuer Nachbau einer 1962 im Schlamm der Weser gefundenen Hansekogge aus dem 14. Jahrhundert, 23 Meter lang, fast acht Meter breit, 120 Tonnen schwer, schaukelt bildschön und träge an der Pier in Bremerhaven. An Bord ist kurz vor Mitternacht noch reger Betrieb. Seemannslieder rieseln aus den Lautsprechern der Stereoanlage. Die Mannschaft hat sich in Tresennähe an Deck versammelt: vier Frauen und sechs Männer, 41 bis 70 Jahre alt, alles glühende Segelfans und vom Wetter gegerbte Wasserratten aus Hamburg, Pinneberg, Kiel, Bremerhaven, Bramstedt und Kropp. Es gibt "Einschiffbier" - Pilsener Urquell aus dem 50-Liter-Fass.

Das Du ist an Bord der Holzkogge ungeschriebenes Gesetz. Und trinkfest muss man sein. Sonst sollte man besser nicht mit der "Ubena" und seiner Crew in See stechen. In die raue Nordsee. Es geht nach Föhr zur dortigen Festwoche "Kurs Föhr", die noch bis zum 3. Oktober andauert. Die "Ubena" kassiert dort ein Antrittsgeld und ist der Star der touristischen Veranstaltung. Wenn man möchte, kann man mit der "Ubena" für zwölf Euro einen mehrstündigen Segeltörn machen.

"Na, denn mal Prost und herzlich willkommen", sagt zwinkernd Kapitän Klaus, ehemaliger Marineoffizier auf der "Gorch Fock". "Um fünf Uhr früh legen wir ab. Es sind rund 100 Seemeilen. Der Törn wird kein Zuckerschlecken, Leute. Haut euch also nicht zu spät aufs Ohr."

Die beiden Maschinisten Manfred, Gelegenheitsjobber, und Lothar, Schiffsältester und früher auf einem Schlepper unterwegs, hauen sich als erste hin. Unter Deck gibt es zwölf Kojen. Es herrscht freie Bettenwahl. "Wir Koggensegler, das kann ich wohl mit Fug und Recht behaupten, sind alle ein bisschen verrückt", sagt Elke, Leichtmatrosin an Bord. An Land arbeitet sie bei der Deutschen Bank und entscheidet über Millionenkredite für Unternehmen. Die ehemalige Krankenschwester Heiderose ist Smutje, Steuerassistentin Susanne steht ihr in der Kombüse zur Seite. Dann gibt es noch Otto, IT-Spezialist und Triathlet. Auf der Hansekogge ist er Steuermann und Kapitänsanwärter.

"Ich bin der, der schuld ist, wenn etwas an Bord nicht hinhaut", sagt Otto. Der Ex-Kriminaltechniker Lothar II liebt Vulkaninseln, ist zweiter Offizier, die pensionierte Polizistin Ruth Decksfrau. Dann ist da noch Manni, ziemlich füllig und immer einen Spruch auf den Lippen. Er war mal Zollfahnder und ist auf der "Ubena" "Barkeeper und Mädchen für alles". Weil er immer so laut schnarcht, muss Manni abseits der anderen in der Offiziersmesse schlafen. "Da bin ich sicher vor den nächtlichen Attacken meiner Mitfahrer", so Manni.

Um kurz vor fünf gibt Käpt'n Klaus das Kommando: "Leinen los!" Durch die neue Schleuse geht es die Weser hoch in Richtung Nordseemündung. "Es ist einfach herrlich, in den Tag hineinzufahren", sagt Klaus auf der Brücke stehend, die jodhaltige Luft gierig einsaugend. "Mit das Schönste überhaupt."

Eine Kegelrobbe begleitet neugierig das sonderbare Schiff. Die Acht-Zylinder-Maschine, 370 PS stark, Maximalgeschwindigkeit 16 Knoten, läuft rund. "Surrt wie Schmidts Katze", sagt Maschinist Manfred. An Segeln ist vorerst nicht zu denken. Der Wind kommt aus der falschen Richtung. Und die Gezeiten geben den Fahrplan vor. Kapitän Klaus hat es eilig, will möglichst schnell nach Helgoland schippern, dem Ziel der heutigen Tagesetappe. Denn der Seewetterdienst sagt Windstärken sechs bis sieben voraus. Schwere See und Sturmböen. Ab Windstärke sechs muss die Kogge eigentlich im Hafen sein, weil sie bei hohem Wellengang durchaus in Seenot geraten kann. Sie ist eben gebaut wie eine alte Hansekogge, nicht wie eine windschlüpfrige, moderne Segelyacht, der weder Wind noch Wetter etwas anhaben können.

Um 11 Uhr ist immer "Sherry Time". Während die ganze Crew anstößt, färbt sich am Horizont der Himmel bedrohlich schwarz. Die Fahne flattert hektisch im Wind, die Planken knirschen. "Keine Panik", beruhigt Smutje Heiderose. "Bei meiner Jungfernfahrt auf der Kogge schlug der Blitz oben in den Mast ein. Alle Geräte fielen aus. Wir schaukelten wie in einer Nussschale. Einige hingen mit Würfelhusten über der Reling. Da habe ich gedacht, das ist genau mein Schiff."

Die "Ubena" läuft vor dem großen Sturm in den sicheren Helgoländer Hafen ein. Es gibt die obligatorische Runde "Anlegebier". Und danach gleich noch eine, bevor sich die Crew ziemlich ausgehungert über das Abendessen mit Bratwurst, Sauerkraut und Stampfkartoffeln beugt.

Weil man auf der Insel zollfrei einkaufen kann, werden 1000 Liter Diesel gebunkert. Und etwas weniger Rum. Der Abend vergeht schnell, mit (meist) verrückten Seemannsgeschichten, garniert mit Zuckerrohrsaft.

Der Morgen beginnt hektisch. "Wir saufen ab", brüllt Lothar aus dem Maschinenraum. Wie aus dem Nichts schrillt der Feueralarm auf dem Schiff. Doch die Crew lacht nur lauthals los. "Heiderose gießt nur mal wieder die Kartoffeln ab", erklärt Otto. "Das mag der Feuermelder über der Spüle gar nicht. Da spielt er verrückt. Halb so schlimm." Beim 11-Uhr-Sherry wird nicht Prost, sondern Gesundheit gesagt. "Alkohol ist während der Fahrt ja streng verboten", sagt Kapitän Klaus augenzwinkernd, bevor er das Schiff seeklar machen lässt. "Deshalb wurde der Sherry von uns zur Medizin erklärt."

Plötzlich, wir sind nur wenige Seemeilen aus dem Hafen und Windschatten von Helgoland heraus, tobt das Meer. Die alte Welle vom Sturm letzte Nacht treffe jetzt auf die neue Welle von den Böen, erklärt Klaus, jetzt höchst konzentriert. Die Windstärke geht gegen sieben, der Seegang ist gut vier Meter hoch. Ein Gefühl wie in der Achterbahn. Die größten Brecher spülen eine Menge Wasser an Deck. "Wir saufen ab", brüllt Maschinist Lothar mal wieder aus dem Maschinenraum. Sein Blick ist diesmal ernst. Rühreier und Speck vom Frühstück wollen oben raus. Die eben noch gesunde Farbe weicht aus dem Gesicht. Die Seekrankheit schnappt sich ein ganz neues Opfer. "Hatten wir alle schon mal", beruhigt Susanne, reicht zwei Vitamin-C-Kautabletten und rät einfach, geradeaus gen Horizont zu schauen. Kapitän Klaus befiehlt indes endlich Kurswechsel: "Zurück nach Helgoland. Hat keinen Zweck. Wir wollen nichts riskieren."

Am nächsten Tag regnet es nur. Wellen und Wind sind gezähmt. Als die "Ubena" auf Föhr einläuft, stehen Insulaner und Touristen staunend am Pier. Nach dem Anlegebier für die Crew der Kogge dürfen sie an Deck. Matjes essen. Und Fahrkarten kaufen. Für einen unvergesslichen Törn auf hoher See.