Wir leben in einer Zeit immer schnellerer Veränderungen.

Das Internet hat die Welt grundlegend gewandelt. Doch es ist erst 20 Jahre alt. Asien entwickelt sich atemberaubend. Doch die Staaten sind erst am Anfang ihres Weges.

Deutschland hat sich in diesem erst angebrochenen Zeitalter der Globalisierung bisher gut behauptet. Wir haben die Herausforderungen angenommen. Das zeigt sich auch daran, dass wir die Finanzkrise besser als von vielen erwartet überwunden haben. Aber der ständige Veränderungsdruck führt zu Verunsicherungen. Die Bürger fragen sich zu Recht, an welchen Maßstäben sich Politik heute noch orientieren kann. Ist die Politik nicht längst nur noch Getriebene des weltweiten Tempos, nur noch in der Lage, sich von Entscheidung zu Entscheidung zu hangeln?

Gerade wegen dieser Beschleunigung aller Prozesse ist es heute notwendiger denn je, sich seiner Wertmaßstäbe zu vergewissern. Wir christliche Demokraten können den Bürgern ein überzeugendes Angebot machen. Als Partei, die seit 60 Jahren das "C" in ihrem Namen führt, sind wir schon von Hause aus dem christlichen Menschenbild als Leitbild für unser Handeln verpflichtet. Aber das "C" ist kein überkommenes Relikt.

Ich bin überzeugt, dass dieses Leitbild heute aktueller ist denn je - in der Gesellschafts-, Wirtschafts- und Finanz-, aber auch in der Außenpolitik. Dem wollen wir auch an diesem Montag in Berlin auf einem großen Kongress nachgehen. An ihm werden auch die obersten Repräsentanten der beiden großen christlichen Kirchen, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und der Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, teilnehmen.

Das christliche Menschenbild ist von zwei Gedanken geprägt. Zum einen muss der Mensch als Ebenbild Gottes begriffen werden. Jedem Menschen kommt eine Würde zu. Sie kann ihm nicht genommen werden. Zugleich ist der Mensch "zur Freiheit berufen", wie es in der Bibel heißt. Er muss diese Freiheit aber verantwortlich wahrnehmen, in Solidarität mit seinen Mitmenschen.

Das klingt abstrakt, hat aber zum Beispiel für uns als Christdemokraten in der Sozial- und auch in der Integrationspolitik, über die in letzter Zeit so viel geredet wurde, ganz konkrete Folgen. Natürlich müssen wir insbesondere denjenigen, die nicht aus eigener Kraft zu einem Leben in Würde imstande sind, direkte Hilfen leisten.

Ziel des solidarischen Handelns darf aber nicht dauerhaft erträgliche Ausgestaltung der Not sein. Vielmehr muss es darum gehen, dem in Not geratenen Menschen eine Rückkehr zu einem Leben in Freiheit und Eigenverantwortung zu ermöglichen. Es gilt, Hartz IV nicht möglichst bequem auszugestalten, sondern Menschen aus Hartz IV herauszuholen.

Auch junge Ausländer oder Deutsche mit Migrationshintergrund müssen deshalb aus meiner Sicht gefordert werden. Es muss alles darangesetzt werden, dass sie selbst in der Lage sind, in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Darum müssen wir das Erlernen der deutschen Sprache schon im Kindergarten, spätestens in der Schule durchsetzen. Schulschwänzen dürfen wir nicht dulden. Dies machen wir nicht, um zu strafen, sondern gerade im Interesse der Menschen, um ihre Eigenverantwortung zu stärken.

Aus dem christlichen Menschenbild folgen für uns auch unter anderem konkrete Aufträge zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, zur Förderung der Familie und zum Schutz des Lebens. In der Außenpolitik sind wir aufgefordert, für die Menschenrechte, insbesondere für die verfolgten Christen in der Welt, einzutreten. In der Finanzpolitik geht es darum, einem ungezügelten Kapitalismus Einhalt zu gebieten.

Der Wertekanon des "C" steht für mich nicht in einem Spannungsverhältnis zu den liberalen und konservativen Wurzeln der CDU. Es ist vielmehr das Band, das unsere Volkspartei eint. Mit dem Wort konservativ verbinde ich dabei vor allem eine Lebensform, die von den Tugenden der Verlässlichkeit und des Einhaltens von Maß und Mitte verbunden ist. Insofern ist für mich die Diskussion in der jüngsten Vergangenheit über die Frage, ob die Union noch konservativ genug sei, unter einer falschen Prämisse verlaufen. Mit dem Hinweis "konservativ" lassen sich nur schwer konkrete Politikinhalte umreißen. Unser Maßstab sollte vielmehr das christliche Menschenbild sein, das uns Orientierung gerade in bewegten Zeiten bietet.