Rudolf Hickel ist Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen.

Hamburger Abendblatt:

1. Die Reallöhne sind erstmals wieder um 2,3 Prozent gestiegen. Ist dies ein Grund zum Jubeln?

Hickel:

Leider nein. Der Zuwachs wurde vor allem durch das Zurückfahren der Kurzarbeit verursacht, das die Bruttoverdienste automatisch erhöht hat. Die Beschäftigten bekommen jetzt das Geld zurück, auf das sie während der Krise durch verkürzte Arbeitszeiten verzichtet haben. Der Zuwachs ist also nicht der Erfolg einer expansiven Lohnpolitik, sondern die Reaktion auf vorher gebrachte Opfer.

2. Hat sich Kurzarbeit somit als wichtiges Instrument in der Wirtschaftskrise bewährt?

Hickel:

Ja. Gewerkschaften, Staat und Arbeitgeberverbände haben mit der Kurzarbeit genau das richtige Instrument angewendet. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Krise bei den Vollzeitbeschäftigten nicht voll durchgeschlagen ist. Alle drei Parteien haben aber einen Preis dafür bezahlt - von Lohnverzicht bis zu Finanzhilfen. Unterm Strich war es ein gelungenes Bündnis für Arbeit.

3. Die Gewerkschaften fordern derzeit kräftige Lohnerhöhungen. Ein richtiger Schritt?

Hickel:

Die Beschäftigten wollen am Aufschwung beteiligt werden. Nachdem sie in den Vorjahren Opfer gebracht haben, ist dies aus meiner Sicht eine vernünftige Forderung. Durch die zurückhaltende Lohnpolitik sind die deutschen Exporte wettbewerbsfähig geblieben. Doch der private Konsum stagniert seit Jahren. Die Menschen brauchen wieder mehr Geld in der Tasche. Eine expansive Lohnpolitik ist deshalb absolut angemessen. Diese muss zudem durch einen vernünftigen Mindestlohn begleitet werden, der über die Kaufkraft der extrem Einkommensschwachen entscheidet.

4. Sind auch sechs Prozent mehr Lohn, wie sie die Stahlarbeiter fordern, angemessen?

Hickel:

Die Forderung ist aus der Sicht der Belegschaften begründet. Im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt halte ich drei bis vier Prozent Zuwachs plus Inflationsrate für vernünftig.

5. Wird dadurch aber nicht der aktuelle Aufschwung wieder abgewürgt?

Hickel:

Glaubt man den Argumenten kleinmütiger Unternehmer, sind höhere Löhne immer fehl am Platz. Aus meiner Sicht aber stärkt eine expansive Lohnpolitik den Aufschwung - und schwächt ihn nicht. Als Gegengewicht zu den hohen Exporten müssen wir die Binnenwirtschaft ankurbeln. Wenn der private Konsum nicht steigt, werden wir niemals einen in sich stabilen Aufschwung erhalten. Es ist ein Gebot der Stunde, durch höhere Löhne den Aufschwung zu stabilisieren.