Verlagsgründer Axel Springer war begeistert von neuen Ideen und vertraute auf den technischen Fortschritt . Heute ist sein 25. Todestag.

Hamburg. Axel Springer und das Internet? Hätte der Mann, der das größte Zeitungshaus Europas aufbaute, auch die Herausforderungen des digitalen Zeitalters gemeistert? Er starb heute vor 25 Jahren - bevor das Netz allgegenwärtig wurde. Wir suchen Antworten auf diese Frage bei denen, die wissen, wie er zu seiner Zeit auf neue Entwicklungen reagiert hat.

"Er hätte sogar das iPad erfunden." Der Mann, der diesen kühnen Satz wagt, ist Günter Stiller. Er arbeitete mehr als 40 Jahre als Reporter für Axel Springer, ist heute 79 Jahre alt. Stiller, der außer für "Bild am Sonntag" auch für das Hamburger Abendblatt schrieb, beschreibt mit dieser pointierten Aussage Springers nie versiegende Begeisterung für neue Techniken und journalistische Ideen. Warum? Genau diese Begeisterung, sagt er, hat den Verleger so erfolgreich gemacht.

Axel Springer war im Nachkriegsdeutschland nicht nur der Erfinder der Boulevard-Zeitungen mit großzügigen optischen Aufmachungen. Er machte seinen Verlag zum größten Zeitungshaus in Europa. Die verlegerischen Ideen und Taten, mit denen Springer den Markt eroberte, erscheinen heute normal. Doch zu seiner Zeit waren sie wegweisend: 1952 brachte er die "Bild"-Zeitung auf den Markt - als "gedruckte Antwort auf das Fernsehen". 1954 erschien erstmals die Sonntagsausgabe des Abendblatts, zwei Jahre später wurde aus ihr die bundesweit erscheinende "Bild am Sonntag".

Etliche Jahre wurde ein Schifffahrts-Funk-Abendblatt über die Weltmeere gesendet - Nachrichten aus der Heimat für die Seeleute. Auch große Beilagen mit Farbfotos waren damals eine Sensation. Springer kümmerte sich auch darum, wie Zeitung und Leser zusammenkamen. Die Marketing-Methoden mit Maiglöckchen-Sträußen, Seifenkisten-Rennen oder Herrn Lombard waren so einfach wie zielführend. Abendblatt-Aktionen wie "Kinder helfen Kindern", die Seite "Von Mensch zu Mensch" sorgten für eine Bindung der Leser ans Blatt. "Das Abendblatt ist mehr als eine Zeitung", hieß es damals.

Die ersten Schritte in die Netzwelt unternahm Springer bereits 1984, vor vielen anderen. Damals startete das Hamburger Abendblatt einen interaktiven Bildschirmtext. BTX hieß das damals in Kurzform, war aber viel zu teuer, weil jeder Nutzer ein BTX-Gerät brauchte. Nicht alles, was sich Springer und seine Entwicklungsteams ausdachten, rechnete sich. Aber man hatte es probiert.

"Hatte er eine Idee, fragte er nicht nur: Wie setze ich sie um? Sondern: Wie kriege ich die Menschen dazu, dass sie stehen bleiben und anbeißen?" Sagt Peter Kruse, von 1989 bis 2001 Abendblatt-Chefredakteur. Wenn Kruse, heute 72, über Springer spricht, klingt in seiner Stimme kein Pathos mit. Er spricht respektvoll. Kruse war ein intellektueller Chef, schweigsam, sagen die Kollegen. Und Axel Springer? Ein erfinderischer Mensch, ein genialischer Zeitungsmacher, sagt Kruse.

So gründete Springer 1948 das Hamburger Abendblatt. Er hasste das Wort "elitär", schreibt sein Biograf Hans-Peter Schwarz, und wollte eine rundum populäre Zeitung machen. "Seid nett zueinander" hieß das Motto dieser Zeitung. Nach dem Krieg traf dieses Motto den Geist der Zeit, erzählt Kruse. "Die Stadt lag in Trümmern, viele Menschen hungerten." Springer habe ein starkes Gefühl für die Wünsche und Nöte der kleinen Leute gehabt.

Axel Springer war typisch für jene umtriebige und lebenstüchtige Nachkriegsgeneration, der die Bundesrepublik ihre lange Zeit beispielloser Dynamik verdankte. Er war aber auch vorsichtig, fast ängstlich, sagt Kruse. Als er ihm Mitte der 70er-Jahre in der Redaktion der Berliner Zeitung "B.Z." zum ersten Mal begegnete, beschäftigte Springer mal wieder das Fernsehen - und die Werbeeinnahmen, die es den Zeitungen stehlen könnte. Springer entwickelte die Idee, bei einem Sender dabei zu sein, mit dem man auch Geld verdienen könnte. "Er hatte die Idee, Märchenfilme fürs Fernsehen zu drehen", sagt Kruse. Springer, der Verleger, der Krisen immer als Chance sah, war Mitte der 80er-Jahre dann Mitgründer von Sat.1 - dem ersten Privatfernsehen der Bundesrepublik. Er arbeitete viele Jahre hartnäckig an dieser Idee, die viele Jahre später an rundfunk- und kartellrechtlichen Weichenstellungen gescheitert ist.

Er war der ständige Ideengeber und er hatte einen Stab um sich versammelt, "vielleicht auch eine Art Schutzwall aus Fachleuten", sagt Kruse. Axel Springer, der Journalist, Peter Tamm, der Kaufmann und Zahlenmensch: Das funktionierte hervorragend zusammen. Tamm ist jetzt 82 und er sagt gerne große, einfache Sätze: "Springer habe ich alles was ich bin und was hier ist zu verdanken." Seine Geste ist ausladend. Hier im Kaispeicher B in der HafenCity hat sich Tamm mit dem Maritimen Museum einen Lebenstraum erfüllt.

Peter Tamm trägt die Haare zurückgekämmt wie vor 62 Jahren, als er das erste Mal mit Axel Springer zusammentraf, um sich als Schifffahrtsredakteur beim Abendblatt zu bewerben. Seitdem hat Tamm für Springer gearbeitet. "Axel Springer", sagt Tamm, "war seiner Zeit voraus - mit seinen Ideen und mit deren Umsetzung. Springer war modern, weil er anders war als andere. Er hatte Gespür für Gefühle, Geschäfte und Geschichten", sagt er dann. "Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Allein die Idee, die dem Hamburger Abendblatt zugrunde lag, war verwegen. Der Markt war voll und vergeben. Es gab vier Parteizeitungen, die zusammen eine Auflage von mehr einer halben Million hatten. Dagegen trat das überparteiliche Abendblatt mit einer Startauflage von 60 000 an." Es wurde ein Riesenerfolg.

Man darf annehmen, dass Springer, dessen Geist beweglicher war als viele meinen, im Nachhinein nicht einverstanden war mit der Art und Weise, mit der die 68er-Generation in seinen Blättern behandelt wurde. Tamm sagt allerdings: "Sehen Sie es als ein Zeichen von Weitsinn. Springer hat den sozialistischen Gedanken, der diesen Protesten zugrunde lag, Zeit seines Lebens abgelehnt. Er hielt nichts vom Kommunismus. Er hat daran geglaubt, dass die Mauer fallen wird. Auch da war er seiner Zeit weit voraus." So sieht er es.

Peter Tamm steht für ein anderes Jahrhundert, für die 50er- bis 80er-Jahre: Deutschland geteilt, ideologische Kämpfe zwischen Ost und West, zwischen Konservativen und Linken und zwischen Zeitungen und Meinungsmachern, die dieser oder jener Seite zuneigten. An keiner Figur aber schieden sich die Geister so wie an Axel Springer, dem Berliner Verleger Hamburger Herkunft. "Kalter Krieger" haben sie ihn genannt, es war alles immer ein bisschen schrill und aufgeregt damals, nicht zuletzt in Springers Boulevard-Zeitungen, aber das gehört zu deren bunten Konzept. Schwarz-weiß sind die Bilder, die bis heute die Sicht auf Axel Springer bestimmen. Nostalgie und Vorurteile spielen immer eine Rolle bei der Annäherung an eine Person, aber manchmal sind sie hinderlich.

Michael Jürgs, Jahrgang 1945, findet, dass Springer immer den richtigen Riecher zur richtigen Zeit hatte. Das ist das Lob eines Mannes, der als ehemaliger Chefredakteur des "Stern" immer zur anderen - linksliberalen - Seite der Medien gehört hatte. Und für den Springer in den umstürzlerischen Sechzigerjahren noch ein Feindbild war. Jürgs gehörte damals zu den Studenten, die gegen Notstandsgesetze demonstrierten und auch gegen die "Hetze gegen Andersdenkende, die nicht ihr Weltbild teilten", wie er sagt. Die Proteste trafen Springer hart: Aus ihm wurde innerhalb kürzester Zeit die umstrittenste Persönlichkeit in der damaligen Bundesrepublik.

Dabei hätten sie sich treffen können, sagt Jürgs, die Studenten und Springer. "Wir teilten mit ihm eine klare antinazistische Haltung." Nur leider hat keiner dem anderen zugehört, sondern vor allem draufgehalten. Hatte Springer damals die Jugend verloren? "Hat er sie je gehabt?", fragt Jürgs. "Die Zeitungen des Verlags waren damals das Weltbild alter Männer. Und sie waren geschrieben von alten Männern."

Die Wut gegen den einstigen "Buhmann" ist bei Jürgs gewichen. 1995 schrieb er eine Biografie über Springer, die später mit Heiner Lauterbach verfilmt wurde. Doch die Kritik bleibt: "Seine enge politische Haltung entsprach damals nicht mehr dem Geist seiner Zeit", sagt Jürgs.

Wie hätte Axel Springer auf den Onlinejournalismus reagiert? "Der Zeitungsmacher Springer hätte die Printmedien mit allen Mitteln verteidigt", glaubt Jürgs. Einerseits. Er hätte aber auch neue Formate entwickelt, ergänzt er. Vielleicht so etwas wie die erste Zeitung in kompaktem Format. Hätte er getwittert? "Er hätte twittern lassen", sagt Jürgs.

Günter Stiller, der ehemalige Reporter, schreibt seit zwei Jahren nicht mehr. "Ich habe alles erlebt, alles gesehen. Ich konnte alles tun, was mir Spaß gemacht und mich interessiert hat", sagt er. "Springer war unkonventionell und neugierig, interessiert und kreativ." Ein Chef offenbar, wie man ihn sich als Journalist nur wünschen kann. Springer kam morgens oft in die Abendblatt-Redaktion, gekleidet in feinste Anzüge aus London, kramte aus seinen Taschen 20 Zettel raus. Darauf hatte er in der Nacht Themen aufgeschrieben, Ideen gesammelt für sein Abendblatt.

Für seine besten Reporter tat er alles. "Wenn ich mal eben ein paar Tausend Mark brauchte, um irgendwo eine Reportage zu machen, habe ich die binnen weniger Stunden bekommen." Auch das war sehr modern: Journalismus first - immer der Journalismus zuerst, vor allen Zahlen. Axel Springer wollte die besten Geschichten, die besten Journalisten. Eben Menschen, die tickten wie er.

Unzählige Male war Stiller für den Verlag in Israel unterwegs. Axel Springer verband eine enge Freundschaft mit dem Staat und dem israelischen Volk. Stiller schickte seine Texte per Fernschreiber, Nachrichten per Telegramm aus Israel. Es musste so aktuell wie möglich sein, erinnert sich Stiller. "Springer stand manchmal noch selbst in der Druckerei und veränderte kurz vor Deadline den Bleisatz." Technik habe ihn begeistert. Er war einer der ersten, der im Zeitungsoffset druckte.

Wenn man all das zusammen nimmt, was die, die ihn noch kannten, über den Verleger Axel Springer sagen, dann bleibt das Bild eines Mannes, der keine Angst vor neuen Ideen hatte. Der nicht gern Zweiter war. Der hin und wieder zweifelte und in solchen Momenten seinen Verlag verkaufen wollte. Er hatte aber unternehmerischen Mut im Blut und konnte die Zukunft lesen, wo andere genug damit zu tun hatten, auf die Anforderungen der Gegenwart zu reagieren.

Und das iPad? Er hätte es verstanden: Es ist einfach zu bedienen und so elegant, dass es sogar zu seinem erlesenen Geschmack gepasst hätte. Ihm hätte gefallen, wie gut man damit Zeitung lesen kann, ja, das Zeitunglesen revolutionieren kann. Vermutlich hätte dann auf einem seiner Zettel gestanden: Wenn Nachrichten online gelesen werden, sollten wir zu den besten gehören, bei denen man Onlinenachrichten bekommt.