Joachim Krause, 59, ist Professor für Politikwissenschaft an der Uni Kiel.

1. Hamburger Abendblatt:

Die CDU in Schleswig-Holstein hat ihr Schicksal am Wochenende in die Hände von Christian von Boetticher gelegt. Ist der neue Parteichef eine gute Wahl?

Joachim Krause:

Diese Frage lässt sich erst beantworten, wenn er seine erste Bewährungsprobe bestanden hat. Aber der eingeschlagene Weg ist vernünftig. Carstensen hat seine Nachfolge rechtzeitig geregelt. Seiner Partei bleibt die quälende Diskussion erspart, wer das nächste "Alpha-Tier" wird. Damit kann sich die CDU einen Vorteil gegenüber der SPD ausrechnen, die diese Debatte vor sich hat.

2. Von Boetticher wird die CDU in die Neuwahl führen. Haben die Christdemokraten angesichts der Umfragewerte eine Chance?

Krause:

Zurzeit steht Schwarz-Gelb bundesweit schlecht da. Das kann sich rasch ändern, wenn sich die Wirtschaftslage weiter verbessert und Union und FDP ihre Führungskrisen hinter sich bringen. Von daher ist mit Blick auf eine Wahl 2012 alles offen. Die CDU hat das Potenzial, in diesem Bundesland weit über 40 Prozent zu bekommen. Ob sie das ausschöpft, steht auf einem anderen Blatt. Zurzeit geht über ein Drittel der Unionswähler gar nicht mehr zur Urne. Das Gleiche gilt auch für die SPD, wo Kiels Oberbürgermeister Torsten Albig deutlich bessere Chancen hat als Parteichef Ralf Stegner, der mit seiner Art bei vielen Wählern nicht ankommt.

3. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen lässt offen, ob er bis zur Landtagswahl im Amt bleibt. Was empfehlen Sie ihm?

Krause:

Ich würde ihm raten, bis zur Landtagswahl Ministerpräsident zu bleiben. Alles andere wäre hoch riskant. Ob er eine "lame duck" wird, hängt von seiner Partei und der Profilierungspolitik des Nachfolgers ab.

4. Carstensen ist mit sich sehr zufrieden. Hat er Schleswig-Holstein gut regiert?

Krause:

Carstensen hat der CDU in Schleswig-Holstein gutgetan, diese war hoffnungslos zerstritten. Was seine Leistungen als Ministerpräsident betrifft, ziehe ich eher eine nüchterne Bilanz. Die Erwartungen an die Große Koalition, wie der Abbau der Neuverschuldung und die Streichung von Subventionen, haben sich nicht erfüllt. In der Arbeitslosigkeit liegen wir weit hinten unter den alten Bundesländern. Das schlechte Wahlergebnis der CDU von 2009 muss man primär ihm zuschreiben. Auch die schwarz-gelbe Koalition glänzt nicht mit Erfolgen.

5. Kanzlerin Merkel verliert mit Carstensen einen loyalen Landesfürsten, bekommt mit von Boetticher einen Modernisierer. Was bedeutet das für die Bundespolitik?

Krause:

Eigentlich recht wenig. Carstensen war zwar in Berlin beliebt, aber er hat der Kanzlerin manch unliebsame Überraschung bereitet. Von Boetticher könnte der Kanzlerin vom Temperament her vielleicht eher passen als Carstensen. Aber wer weiß, ob Frau Merkel 2012 noch im Amt ist?