Erster Tag: "Dann hat er eben mal Not ...", sagt der Schulleiter, "aber er wird es schaffen." Das Mutterherz ist nicht ganz beruhigt. Sohnemann ist abgereist, so wie viele der 13- bis 15-jährigen Schülerinnen und Schüler der Winterhuder Reformschule. Einige zum Wandern über die Alpen, andere zum Fahrradfahren und Zelten oder mit Booten. "Herausforderung" heißt das pädagogische Lernprojekt. Drei Wochen Zeit, auf ganz unterschiedliche Weise aus dem Alltag auszusteigen und vielleicht viel mehr zu lernen als in der Schule. Kommen sie klar ohne "Hotel Mama"? Reichen sieben Euro am Tag, um sich selbst zu verpflegen? Können sie sich auch mal durchbeißen, wenn ihnen der Regen ins Gesicht schlägt, die Blasen an den Füßen und das Heimweh im Herzen brennen?

Vierter Tag: Eine Fahrradgruppe hat, auf dem Weg von Thüringen an die Nordsee, gerade die Weser erreicht. Der Wetterbericht zeigt Unwetterwarnung, Starkregen. Drei Kinder sind gestürzt. Ein Mädchen liegt im Krankenhaus.

Wir Eltern reisen in Gedanken mit. Ich kann nicht schlafen. Wache über mein Kind, obwohl ich gar nichts tun kann. Oder gerade deswegen?

Achter Tag. Die Alpen-Überquerer melden: "In der Nacht hat es geschneit. Einzige Möglichkeit: Abstieg!" Auch die Paris-Radler haben keinen guten Start erwischt. Zwei Räder wurden über Nacht geklaut. Und an der Weser kann ein verletzter Junge nicht weiterfahren.

Not und Niederlagen gehören mit zum Lernprogramm. Aber schwere Unfälle hat es in den fünf Jahren des Projekts "Herausforderungen" noch nicht gegeben. Zwei Lehrer pro Gruppe stützen und stärken. Die meisten Kinder kommen durch und merken, was sie alles schaffen können.

15. Tag, 22.30 Uhr. Anruf vom Zeltplatz auf Neuwerk. Sechs Grad und Windstärke 8. Die Taschenlampe ist kaputtgegangen.

"Kommst du klar?", frage ich etwas zaghaft. "Ich komm klar!"

Am Donnerstagabend ist er wieder da. 14 von 18 Kindern haben knapp 800 Fahrradkilometer und die Wattwanderung nach Neuwerk geschafft. Um 19 Uhr biegen sie nach der letzten 85-Kilometer-Etappe um die Ecke. Ich habe selten Kinder gesehen, die so stolz und glücklich sind. Sie können viel mehr, als wir denken. Mein Lernprogramm heißt: Loslassen und vertrauen!

pastorin@epiphaniengemeinde.de