Ein Kommentar von Tom R. Schulz

Jedes Jahr dasselbe Bild: Vom Tourneemusical-Gastspiel abgesehen, herrscht im Kulturleben der Stadt im Sommer zuverlässig tote Hose. Ab Mitte August kehrt mit Sommerfestival und Dockville so langsam wieder das Leben zurück. Doch kaum biegt der September um die Ecke, weiß man gar nicht mehr, wo man zuerst sein will und sein soll, am liebsten überall zugleich. Ins Premierenfeuerwerk der Bühnen nach den Theaterferien mischen sich Belcanto-Nächte, serienweise neue Galerieausstellungen, die Theaternacht und der Überraschungserfolg Harbour Front. All das nimmt der kulturell derb gedarbt habende Städter auf wie eine Grünpflanze den Regen nach langer Dürre. Was bei der wieder einsetzenden geistigen Osmose besonders animiert: Die Stadt zeigt sich in anderem Kontext. Dichter lesen in Konzertsälen, oder, noch besser: an Bord von Schiffen, die man seit Jahrzehnten als Bestandteil der Hamburgkulisse kennt, aber noch nie betreten hat. Schließlich gehen die Pariser ja auch nie auf den Eiffelturm. Dabei bieten etwa die "Cap San Diego" oder die MS "Bleichen" so viel Fremde in der Heimat, dass man sich nicht nur über das Kulturerlebnis Dichterlesung freut, sondern als Tourist in dereigenen Stadt auf Entdeckungsreise geht. Und nichts dagegen hätte, wenn die Taue sich sacht in der Nacht vom Poller lösten und ein Kapitän der Träume das Schiff flussabwärtssteuern würde, ins Meer hinaus, zu einer unverhofften Urlaubsnachspielzeit.