Der Hamburger Weihbischof richtet seinen Blick auf die Opfer und meint, sie wurden mundtot gemacht und so doppelt geschändet.

Es ist erstaunlich schnell gegangen. Gerade ein halbes Jahr hat es gedauert, bis die deutschen katholischen Bischöfe ihre alten Richtlinien von 2002 zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger neu gefasst und so präzise formuliert haben, dass sie der Not der Betroffenen besser entsprechen und ein klares, wirksames Handeln ermöglichen. Seit 1. September in Kraft, finden die neuen Richtlinien Anerkennung in der Öffentlichkeit, nicht zuletzt bei Fachleuten.

Vergessen wir nicht, vor allen Leitlinien steht immer der Missbrauchsskandal. Er muss uns im Herzen treffen. Nicht so sehr um unseres Rufes willen, sondern weil unschuldige Kinder und Jugendliche im Raum der Kirche bitter im Innersten ihrer Persönlichkeit beschädigt worden sind. Auf ihren eigenen guten Ruf hat die Kirche sehr wohl geachtet. Die Opfer wurden mundtot gemacht und so doppelt geschändet. Nichts sollte auf die Kirche kommen, den frommen Schein stören.

Aber dann ging die Lawine los und es war an der Zeit. Der Anstoß bei den Jesuiten hat andere Fälle in Bewegung gebracht. Eine ganze Landkarte steht uns vor Augen. Zuerst kommen die katholischen Schandtaten an Licht, evangelische lassen nicht auf sich warten, aus staatlichen und anderen Einrichtungen kommt Böses an den Tag. Bitteren Ruhm erlangt die Odenwald-Schule, hoch angesehen, mit dem Stempel der Reformpädagogik ausgezeichnet.

Die Kirche darf nicht von sich weg auf die anderen zeigen und die vielen so oft unausgesprochenen Probleme in Gesellschaft und Familie. Ich habe vor zwei Wochen mit einem kleinen Kreis den Papst getroffen. Der Skandal bewegt ihn zutiefst, denn im Inneren der Kirche, nicht von außen, sondern bei Priestern und Ordensleuten, die sich dem Herrn Jesus verschreiben, bricht die Bosheit aus und beschädigt die Kleinen, die Unschuldigen. Welche Worte soll ein Papst finden? Wie soll er die Kirche zur Umkehr und zur Buße bringen? In Hamburg hat unsere Bischöfin ein starkes Zeichen gesetzt: für eine Kirche, die glaubwürdig sein muss, die die Opfer nicht beschämt, die sich wahrhaftig zur Besinnung rufen lässt.

So will ich es uns neu ins Bewusstsein rufen: Der Missbrauchsskandal ist längst nicht erledigt, in Vergangenheit, aber auch im Blick auf die Zukunft. Die unschuldigen Opfer haben das Recht, dass sie zu Wort kommen. Unterstützen wir sie dabei! Sie müssen tatkräftige Hilfe erlangen.

Wir alle müssen ein waches Auge für gefährliche Situationen und gefährdete Menschen gewinnen. Wir müssen daran arbeiten, dass Missbrauch an der Wurzel gestoppt werden kann. Die Kirche, so sagen die Leitlinien, will sich ohne Wenn und Aber der Verantwortung stellen. Sie will sich den Menschen öffnen und sie ermutigen, für vorbehaltlose Aufklärung zu sorgen. Sie will Recht und Gerechtigkeit zur Geltung bringen. Auch konkrete, auch materielle Hilfen sind notwendig, ein heikles Thema, bei dem es immer um die einzelne Person gehen muss, auch um ein Maß im Bereich des Menschenmöglichen.

Und der Zölibat? Er ist natürlich nicht die Ursache der Schandtaten. Aber sexuell gestörte Personen können sich auch in ihn flüchten. Die Kirche wird entsprechend den Beispielen in der Bibel immer auch zu einem bewussten und freiwilligen Leben im Verzicht auf sexuelle Entfaltung einladen, damit andere Seiten des Menschlichen stärker realisiert werden können. Ein glaubwürdig gelebter Zölibat kann viele andere Kräfte freisetzen. Die Kirche lädt alle Menschen ein zu einer verantwortlichen, personalen Sexualität, immer auch mit ihren eigenen Möglichkeiten und Grenzen. Nicht zuletzt die Kirchenvertreter müssen gut lernen, eine reife Sexualität zu gewinnen, wie Gott sie von uns erwarten will. Das ist eine entscheidende Lehre aus dem Skandal.

Die kirchliche Sorge um den Menschen in verschiedenen Lebenssituationen, die Seelsorge, soll viele Gesichter haben: das von Priestern und Laien, von Unverheirateten und Verheirateten, von Männern und Frauen, von Jungen und Alten. Lernen wir aus dem, was uns heute so sehr erschüttern muss!