Arbeitsgericht gibt Hochbahn-Angestelltem recht. Zwangsverrentung nicht zulässig

Hamburg. Es ist ein Urteil, das bei Beschäftigten und Arbeitgebern für Aufregung sorgt: Ein Haltestellenwärter der Hamburger Hochbahn darf auch nach seinem 65. Geburtstag weiterarbeiten, obwohl in seinem Vertrag steht, dass er mit 65 Jahren in Rente gehen muss. Das hat das Hamburger Arbeitsgericht entschieden. "Ich liebe meinen Job und fühle mich wie 60", sagte Carlos A.-R. dem Abendblatt.

Er hatte schon im August 2009 darum gebeten, auch nach seinem 65. Geburtstag weiter beschäftigt zu werden. Die Hamburger Hochbahn lehnte mit Hinweis auf ihren Tarifvertrag ab. Dort steht, dass Arbeitsverhältnisse mit Ablauf des Monats enden, in dem der Mitarbeiter das 65. Lebensjahr oder die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht. Im Fall von A.-R. war das der 31. Mai 2010.

Der Hochbahn-Mitarbeiter reichte im Dezember Klage beim Hamburger Arbeitsgericht ein. Es sei Diskriminierung, wenn er ab 65 nicht mehr arbeiten dürfe. Das Arbeitsgericht gab ihm nun recht (Az.: 22 Ca 33/10). Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb ein Arbeitnehmer einen Tag vor Erreichen der Altersgrenze noch voll eingesetzt werde, einen Tag später jedoch, allein aufgrund seines Geburtstags, auf einmal eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen solle. Die Hochbahn hatte argumentiert, dass Carlos A.-R. eine besonders verantwortungsvolle Position innehabe und deshalb altersbedingte Risiken drohten. A.-R. ist seit dem 1. Juni 1981 bei der Hochbahn als Haltestellenwärter angestellt, sein Gehalt beträgt monatlich 2836,67 Euro brutto.

Die Hochbahn muss den Mann nun weiterbeschäftigen - so lange, wie er will. "Das Urteil heißt: open end", sagte sein Anwalt Sebastian Schroeder von der Kanzlei Hensche. "Es gibt keine Grenze mehr, mein Mandant muss deshalb auch mit 67 Jahren nicht in Rente gehen." Das Urteil lasse sich auch auf andere Fälle von "Zwangspensionierungen" übertragen. Beschäftigte müssten ihre Absicht, im Rentenalter weiterzuarbeiten, spätestens drei Wochen nach der Zwangsverrentung gerichtlich geltend machen. Sonst ende das Arbeitsverhältnis unwiderruflich.

Die Hochbahn will in Berufung gehen und lehnt eine Stellungnahme mit Hinweis auf das laufende Verfahren ab. Der Fall geht nun an das Landesarbeitsgericht. Sollte dort entschieden werden, dass der Mitarbeiter doch in Rente muss, will Anwalt Schroeder Revision einlegen. Dann würde der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht verhandelt.

Das in Deutschland einmalige Urteil sorgt schon jetzt für Unruhe. "Wenn der ältere Arbeitnehmer nicht geht, kommt der jüngere nicht rein", sagte Uwe Grund, Chef des DGB in Hamburg. Das gesetzliche Verbot, jemanden wegen seines Alters zu diskriminieren, kollidiere mit der Notwendigkeit, Arbeitsplätze für die junge Generation zu erhalten. "Nun haben wir einen regelrechten Konflikt", sagte Grund.

Mit Unverständnis reagierte auch die Arbeitgeberseite. Das Urteil sei "weder in seiner Begründung noch im Ergebnis nachvollziehbar", sagte Michael Thomas Fröhlich, Chef des Unternehmerverbands Nord. "Die Entscheidung produziert Chaos", sagte Peter Haas, Sprecher des Arbeitgeberverbands Nordmetall. Wenn ältere Arbeitnehmer nun massenweise eine Weiterbeschäftigung gerichtlich erzwingen würden, stünde die Personalplanung der Unternehmen vor dem Kollaps.