Früher, als die Zeiten allgemein noch besser waren, wusste jeder Ökonom, was ein Aufschwung ist. Das war eine Zeit, in der es den Menschen durch die Bank gut ging, weil sie Jahr für Jahr mehr Geld im Portemonnaie hatten und das auch ausgegeben haben. Heute weiß das offenbar niemand mehr.

Wüssten wir es noch, würden wir nämlich nicht eine kurze Phase großspurig Aufschwung nennen, in der es einigen wenigen schon wieder gut geht und dem Rest von der Politik und den Medien eingetrichtert wird, mehr als das Wenige, das sie ihr Eigen nennen, sei auch in einem Aufschwung einfach nicht zu bekommen.

Das lässt sich an einer einzigen Zahl wunderbar belegen.

Wenn man die inflationsbereinigten Einzelhandelsumsätze in Deutschland im Jahre 2005 einem Wert gleich 100 setzt und sie von dort an über die vergangenen fünf Jahre weiterverfolgt, landet man im zweiten Quartal 2010 bei 98! Nach zwei sogenannten Aufschwüngen also haben die Menschen in Deutschland so wenig Geld in der Tasche, dass sie weniger beim Einzelhandel kaufen als vor fünf Jahren. Wenn das kein Fortschritt ist?

Um es deutlich zu sagen: Unser Aufschwung findet derzeit in China statt. Dort steigen die Löhne nämlich kräftig und viele Menschen können sich weit mehr leisten als vorher und kaufen deutsche Autos. Das ist aber nicht gottgegeben, sondern Ausdruck einer falschen deutschen Politik.

Sich darauf zu beschränken, um jeden Preis anderen Ländern deutsche Produkte verkaufen zu wollen, ist keine auf Dauer erfolgreiche wirtschaftspolitische Strategie. Die Konsumenten dort können sich die deutschen Produkte nämlich nur leisten, wenn sie selbst irgendwann ihre Erzeugnisse in Deutschland absetzen können.

Wer immer nur auf Pump konsumiert, ist bald pleite und muss dann von seinen Gläubigern gerettet werden. Das hatten wir in Europa ja gerade.

Sollen die anderen eine Chance für ihre Exporte bekommen, geht es nicht ohne den deutschen Konsumenten. Erzielt der nicht wesentlich höhere Einkommen, ist der Aufschwung des deutschen Exports ein Scheinaufschwung, weil ihm bald wieder die Pleite der Kunden folgt.

Wer würde einen Unternehmer für erfolgreich halten, der seine Produkte nur deswegen absetzt, weil er mit der Ware gleich die faulen Kredite zum Kauf der Ware mitliefert? Mehr als traurig ist, dass so einfache Zusammenhänge auch in der Institution nicht verstanden werden, die wie keine andere für das Funktionieren der europäischen Währungsunion verantwortlich ist: die Europäische Zentralbank. Wie könnte es sonst sein, dass der oberste europäische Währungshüter, Jean-Claude Trichet, den übrigen Europäern empfiehlt, es wie die Deutschen zu machen, also den Gürtel enger zu schnallen, mehr zu exportieren und nicht mehr konsumieren.

Wer soll im Rest der Welt noch seine Importe durch eigene Exporte bezahlen können, wenn Europa als Ganzes eine Politik der Exportförderung à la Deutschland in den letzten zehn Jahren betreibt? Die USA? Deren Präsident hat gerade selbst eine Exportoffensive angestoßen, weil das Land im Ausland schon so hoch verschuldet ist. Japan? Dort herrscht die deutsche Krankheit der geringen Löhne und des geringen Konsums schon länger als in Deutschland und wird manchmal zu Recht "japanische Krankheit" genannt. Also doch China, obwohl man dort eine Verschuldung gegenüber dem Ausland als einen herben Verlust von Kontrolle über die eigenen Angelegenheiten betrachtet und um fast jeden Preis zu vermeiden versucht?

Man sieht, die Luft wird dünn für die deutsche Exportstrategie. Wer zu hoch steigt, wird am Ende tief fallen. Solange es keine galaktischen Märkte gibt, die man beliefern kann, muss man damit leben, dass auch die Länder der Welt, die wir als Kunden so lieben, einmal Lieferant sein müssen.

Da die Deutschen als Kunden aber auch gute Einkommen brauchen, muss Schluss sein mit dem deutschen Gürtel-enger-Schnallen. Nicht wegen der Ungleichheit alleine, sondern auch wegen der volkswirtschaftlichen Logik braucht Deutschland jährliche Lohnerhöhungen, die weit über dem liegen, was man hierzulande im letzten Jahrzehnt aus Angst vor der Globalisierung fälschlicherweise für angemessen angesehen hat.