Oldtimer, Ritter, Straßenkünstler - und dazu noch Sonne satt. Am Wochenende war in der Hansestadt wieder richtig was los.

Hamburg. Sicher, man könnte auch zu Hause sitzen und sich einen Mittelalterfilm im Fernsehen angucken. Aber das hier ist zumindest für ein Wochenende das wirklich wahre Mittelalterleben. In engen Zelten schlafen, Holz hacken und auf offenem Feuer kochen. Was sich für die einen anhört wie der wahr gewordene Albtraum, ist für die anderen ein großer Spaß, ein Spiel. "Das hier", sagt Johannes, "ist besser als Fernsehen, denn es gibt so viele Verrückte zu sehen." Er lacht. Die Verrückten sind ja immer die anderen. Und tatsächlich heben sich Johannes und sein Bruder Tobias Knöbel mit ihren T-Shirts aus der Menge der Mittelalter-Fans mit ihren Ritterrüstungen und Fellhemden ab.

Die Brüder sind zwei von rund 30.000 Besuchern, die sich am Wochenende das weltweit größte reisende Mittelalter-Kultur-Festival der Welt im Öjendorfer Park anschauen. Sie sind auch zwei von gut einer Million Menschen, die am Wochenende hamburgweit zu Straßenfesten, Alstervergnügen und Autorennen gegangen sind. Unterschiedliche Feste mit unterschiedlichem Publikum.

Mit "Verrückten" eben - wie Frank Meyer aus Oldenburg. Der 38-Jährige steht vor einem Leinenzelt, das er Kote nennt. In seinem Arm liegt die vier Wochen alte July-Sophie und schläft mitten im strengen Geruch von kalter Asche und frischem Feuer. Und dann sind noch die Hilferufe zu hören von Darstellern, die "ich bin ein gefangener Knecht" spielen. Ein neugeborenes Baby dazwischen - das ist wie im falschen Film. Gut, dass July-Sophie noch so klein ist und nicht mitbekommt, wie ein paar Schritte weiter einer in Lumpen gehüllt Fratzen zieht. Kinder laufen schreiend weg.

Frank Meyer und seine Freundin Ilka genießen diese raue Mittelalter-Atmosphäre, dieses Leben wie im Pfadfinder-Lager. Wenn sie Feuer rieche, sagt die junge Mutter, fühle sie sich wie zu Hause. Alte Dinge faszinieren auch die Männer, die am Stadtpark mit Kameras vor ihren Bäuchen herumlaufen. Sie fotografieren alte Autos, mit ihren Händen in den Hosentaschen scharwenzeln sie um die Oldtimer. Um Autos, die Detomaso heißen und aussehen wie Ferraris, um Woodys - Autos aus Holz - wie aus einem Disneyfilm. Die wenigen Frauen, die an diesem Morgen beim 9. Hamburger Stadtpark-Revival zu sehen sind, arbeiten an der Kasse und sagen: "Man, ist das laut hier."

Rund 20.000 Besucher sind zum 1,7 Kilometer langen Revival-Rundkurs an die Saarlandstraße gekommen. Die meisten sind Männer und Väter mit kleinen Jungs auf Laufrädern neben sich. Fotografierende Männer wie Achim Scharr aus Harburg. "Die alten Autos haben alle Gesichter für sich. Ob Porsche oder Maserati. Heute kommen die Autos aus dem Windkanal, und es ist für die Designer sehr schwierig, eine eigene Identität zu entwickeln", sagt der 50-Jährige.

Das klingt ein bisschen wie eine Liebeserklärung. Obwohl in den meisten Rennautos ältere Männer sitzen - manchmal fahren Frauen als Beifahrerinnen mit - gibt es auch weibliche Autoverrückte. Marisa Lakenmacher aus Winterhude ist so eine. Ihr Liebling ist ein silberner 190er SL, ein Mercedes Baujahr 1955. "Er ist fast wie ein Pferd. Du musst selber arbeiten. Wenn du ein guter Fahrer bist, kann der Wagen alles geben", sagt sie und streicht mit ihren rot lackierten Fingernägeln über den Türrahmen. Ein Pferd streichelt man ja auch mal zwischendurch. "Seitdem ich ein kleines Mädchen bin, träume ich davon, mit einem SL fahren zu können." Den hatte ihr Vater nämlich früher. Einen Spitznamen hat das Auto auch: "Nitribitt" - weil die Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt das gleiche Auto fuhr.

Weniger um Autos und mittelalterliche Lebensweise, dafür mehr ums Essen geht es beim Alstervergnügen. Obwohl: Die Macher versuchen mit richtig gutem Gypsy Jazz und einem Shanty-Chor das Image zu verbessern. Für viele Besucher ist das Alstervergnügen der Anlass, einmal einen Ausflug in die Großstadt zu machen. So wie für die Männerclique aus Langenstraße-Heddinghausen in Nordrhein-Westfalen, die sich "Vui Hiligen", das soll die Heiligen heißen, auf ihre T-Shirts haben drucken lassen und mit Bier und Wodka anstoßen. Das sieht so nach Junggesellenabschied aus, an denen man sich in Hamburg längst sattgesehen hat. Die Männertruppe ist nicht so sehr wegen der Bratwürste oder der Gypsy-Musik angereist. Ihnen geht es augenscheinlich mehr ums Trinken.

Natürlich gibt es auch beim ersten internationalen Festival der Straßenkünste STAMP in Altona Trink- und Essbuden mit den üblichen Asia-Bratreis-Angeboten. Die 200 000 Besucher erleben aber noch mehr: Straßenkünstler, Tanzgruppen und diverse Trommlerformationen. Die Besucher, viele Familien aus dem Stadtteil, scheinen begeistert. "So viel Lebensfreude, so verschiedene Künstler. Das ist toll", sagt Heidi Schulze-Bichl, 65, aus Ottensen. Vielleicht ist STAMP das, was das Alstervergnügen gern wäre: mehr Kultur- und weniger Fressmeile.