Von dem Theatermacher Corny Littmann könnte Hamburgs neuer Kultursenator Reinhard Stuth lernen, wie man einen maroden Spielbetrieb wieder auf die Beine stellt

Es gab Zeiten, da verfolgte Corny Littmann die Spiele des FC St. Pauli - mit Verlaub - voll wie eine Haubitze. War aber nicht weiter schlimm, Littmann, alter Theatermann, hatte die Sache trotzdem fest im Griff. Er bellte nach dem Abpfiff ein paar flotte Sätze in die Mikrofone und zog, wenn er davon genug hatte, seinen runden roten Kopf zurück in den Pelzkragen, aus dem er kurz zuvor herausgekommen war.

Es gab Zeiten, da waren Hamburgs Kultursenatoren Literaten. Trugen Philosophenbrille und dezente Krawatten, Hans-Harder Biermann-Ratjen war so einer. Er war der erste Kultursenator der Freien und Hansestadt und als solcher sehr beliebt; allerdings ist er nie mit Bauhelm und gelben Gummistiefeln zu einem Interviewtermin mit dem Abendblatt erschienen - was zum einen daran lag, dass noch keine Elbphilharmonie in Planung war, zum anderen vielleicht daran, dass es vor 50 Jahren noch an Vorbildern aus Funk und Fernsehen mangelte. Bob der Baumeister war noch nicht erfunden.

Seit einigen Tagen gibt es in Hamburg einen neuen Kultursenator: Reinhard Stuth. Er trägt gern Fliege und ein Brillengestell, das in seiner Ausgestaltung sehr an das von TV-Clown Wigald Boning erinnert, aber das ist nicht weiter schlimm, er kann die Sache ja trotzdem im Griff haben.

Nun ist es ausgerechnet der Mann mit dem melodiösen Röcheln, der Mann, der seine Sache beim FC St. Pauli immer im Griff hatte, der den Neuen in der Kulturbehörde mit wenig herzlichen Worten begrüßte.

"Ich hoffe nur, dass die schmucken Fliegen, die er immer trägt, nicht das Einzige sind, an das man sich später positiv erinnert", sagte Littmann beim Hanse-Rendezvous, und dann zitierte er noch Insider, die den neuen Kultursenator einen "Riesenhuber mit Popper-Frisur" nannten. Na, so was. Stuth schwieg daraufhin höflich, beim Rendezvous war er auch gar nicht zugegen, war vielleicht noch auf Entdeckungstour in einem Hamburger Museum - der derzeit wichtigste Punkt seiner kulturpolitischen Agenda. Und Biermann-Ratjen hätte das wohl auch nicht anders gemacht, also zu schweigen, selbstverständlich - obwohl zu dessen Zeiten auch kaum ein homosexueller Theatermann als Präsident eines Fußballklubs denkbar gewesen wäre (nein, auch nicht auf St. Pauli).

Das ist nun wirklich mal eine Paarung: Corny Littmann und Reinhard Stuth. Vieles haben sie nicht gemeinsam, wenn überhaupt, dann einen gewissen Hang zum Exotischen. Während Stuth beinahe Berater der ugandischen Regierung geworden wäre, hätte Littmann seine Zelte fast auf Kuba aufgeschlagen, so sehr erfreute er sich am kulturellen Dialog mit der karibischen Jugend (vornehmlich der männlichen).

Doch obwohl Uganda von Kuba ein Ozean trennt: Reinhard Stuth könnte so einiges lernen von Corny Littmann. Zum Beispiel, wie man einen maroden Spielbetrieb wieder auf die Beine stellt, seine Bühne modernisiert - und schließlich die gesamte Truppe zurück in die Erstklassigkeit führt. Im Ernst: Das muss man bei einem Verein wie dem FC St. Pauli erst mal schaffen. Corny Littmann hat es geschafft, aber nicht nur das, er schuf auch jene (wirtschaftlichen) Strukturen, die für einen Fußballklub unerlässlich sind, um in der ersten Bundesliga zu bestehen. Er setzte die richtigen Schwerpunkte, stieg auf - und trat ab.

Reinhard Stuth bleiben 18 Monate, um es seinem Kritiker gleichzutun. Das Schöne ist ja: Es gibt so viel zu tun, dass man gar nicht lang nachdenken muss, womit man beginnt. Das neue "Stadion" in der HafenCity befindet sich im Rohbau. Immerhin lässt sich langsam die Haupttribüne erahnen, was nicht darüber hinwegtäuscht, dass Planung und Durchführung - bliebe man im Bilde - eher an die Arbeit eines Regionalligaklubs erinnern als an die eines Bundesligisten. Die marode Technik im Schauspielhaus könnte man auf Vordermann bringen. Und schön wäre auch, wenn Hamburgs Museen das ganze Jahr geöffnet hätten, vielleicht sogar mal mit einer Sonderausstellung.

Auch das hat Littmann vorgemacht: Zum 100. Geburtstag des FC St. Pauli ist am Millerntor eine spektakuläre Ausstellung zu sehen; aber da Reinhard Stuth ohnehin gerade auf Museumstour ist, wird er dort bestimmt bald vorbeischauen. Littmann ist ja leider nicht mehr da. Der kümmert sich wieder vermehrt um seine Haubitzen.