Die Sozialexpertin warnt vor Versorgungsengpässen in der Behindertenbetreuung und plädiert für eine Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit

Die Diskussion um das Aussetzen der Wehrpflicht und damit auch des Wehrdienstes hat mit den jüngsten Vorschlägen des Bundesfamilienministeriums eine Richtung genommen, die den Verdacht nahe legt: Letztlich geht es doch nur um die Haushaltskonsolidierung des Bundes und die Sicherung des Bundesamtes für Zivildienst. Es besteht die Gefahr, dass die aktuelle Chance, das freiwillige Engagement junger Menschen breit in unserer Gesellschaft zu verankern, vertan wird.

Denn bei aller Kritik am "Zwangsdienst" gilt: Die Mehrheit der Zivildienstleistenden blickt auf intensive Erfahrungen und Kontakte zurück, die sie ohne den Zivildienst nie gemacht hätten und die sie ein Leben lang prägen.

Diese Möglichkeit, vielen jungen Menschen soziale Kompetenzen zu vermitteln und sie fähig zu machen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, darf nicht leichtfertig vergeben werden. Deshalb muss in Alternativen, zum Beispiel in den massiven Ausbau der Freiwilligendienste, weiter investiert werden.

Gleichzeitig hat der Zivildienst selbst seinen Platz im sozialen Alltag gefunden: Allein in der Hamburger Diakonie sind knapp 600 Zivildienstleistende im Einsatz.

Neben Hilfstätigkeiten als Hausmeister, an der Rezeption sozialer Einrichtungen und in zusätzlichen Begleit- und Freizeitangeboten, geht es vor allem um die Pflege und Betreuung von alten und behinderten Menschen, denen die Zivildienstleistenden mehr menschliche Wärme im reglementierten Pflegealltag geben können.

In vielen Bereichen kann dies wie auch jetzt schon durch Freiwillige geschehen, die beispielsweise in einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) ähnliche Aufgaben übernehmen. Das ist allerdings deutlich teurer, denn im Gegensatz zum Zivildienst sind die Zuschüsse des Bundes begrenzt. Dabei brauchen Freiwillige Anreize (Taschengeld, gute Bildungsprogramme, Begleitung), um sich für ein freiwilliges Engagement zu entscheiden. Nur attraktive Angebote können langfristig vor dem Hintergrund der Konkurrenz internationaler Programme überzeugen.

Das Bundesfamilienministerium lehnt eine stärkere Förderung mit dem Argument ab, dies sei Ländersache. Hamburg hat sich allerdings in Bezug auf das freiwillige soziale Jahr schon immer vornehm rausgehalten.

Ich sage ganz deutlich: Ohne zusätzliche finanzielle Förderung ist eine Systemumgestaltung in dieser Größenordnung nicht zu leisten. Die zahlreichen Appelle der Bundes- und Lokalpolitiker an die jungen Menschen, doch Verantwortung für die Mitmenschen und Nachbarn zu übernehmen, bleiben sonst folgenlose Schönwetter-Reden. Die Aussetzung des Zivildienstes eignet sich nicht zur Konsolidierung des Haushaltes. Im Gegenteil: Es muss sogar neu investiert werden.

Hamburg hat noch ein weiteres Problem: In einigen Arbeitsfeldern wie zum Beispiel bei der Individuellen Schwerbehindertenbetreuung (ISB) muss dringend über eine angemessene Förderung der Betreuung nachgedacht werden, damit es nicht zu Versorgungsengpässen kommt. Ein staatlicher freiwilliger Zivildienst, wie ihn Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) vorschlägt, baut eine bürokratische Doppelstruktur auf und verletzt das Subsidiaritätsprinzip.

Zu verstehen ist dieser Ansatz nur, wenn man unterstellt: Hier geht es primär um die Zukunftssicherung des Bundesamtes für den Zivildienst. Dafür wird dann in Kauf genommen, dass dem freiwilligen sozialen Jahr das Aus droht. Dieser Schritt widerspricht aller Engagementpolitik der letzten Jahre und führt nicht zu einer Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit, wie wir sie dringend brauchen.

Wir als Diakonie verfolgen weiter das Ziel, möglichst allen Jugendlichen vor dem Berufsleben soziale Erfahrungen jenseits von wirtschaftlichem Erfolg zu ermöglichen, gerade angesichts ansonsten immer stärkerer Ellenbogenmentalität.