Der norddeutsche John Rabe rettete 1937 beim Massaker von Nanking Hunderttausende Chinesen. Hamburg ehrt ihn mit einer Gedenktafel .

In der Gedenktafel-Galerie der Patriotischen Gesellschaft von 1765 nimmt er von heute an einen Ehrenplatz ein - neben den Beatles, Carl Hagenbeck, Arthur Schopenhauer und weiteren Persönlichkeiten mit Bedeutung für die Hansestadt. Der Unterschied: Kaum einer kennt John Rabe.

Somit wird posthum eine Persönlichkeit mit dramatischer Biografie geehrt. Die einen nennen ihn "Deutschen Buddha", andere den "Schindler von China". Weil der norddeutsche Kaufmann 1937 mit höchstem Risiko eine Viertelmillion Menschen vor dem Tod bewahrte. Details seiner Wurzeln blieben dennoch im Dunkeln. Bis Enkel Thomas Rabe jüngst ein Buch veröffentlichte, das Einzelheiten über die Lehr- und Wanderjahre seines im Januar 1950 verstorbenen Großvaters preisgibt. Weitgehend vergessen wurde John Rabe beerdigt. Auch weil er seine Heldentaten in Fernost unter dem Banner des Hakenkreuzes ausführte.

Bis dahin war es ein Weg voller Abenteuer und Tücken, festgehalten in neun handschriftlichen Tagebüchern. Der am 23. November 1882 geborene John Rabe war allzeit hellwach. Ein Jahr früher als üblich, mit fünf, besuchte er die Rummbaum'sche Privatschule an der Caffamacherreihe, anschließend die Realschule auf St. Pauli. In seinem 17. Lebensjahr starb Vater Marcus an Magenkrebs. Letzterer hatte sich vom Schiffsjungen auf einem Segelschiff und Tally Clerk im Freihafen zum Kapitän auf großer Fahrt an Bord der Hamburg-Südamerika-Linie hochgearbeitet.

Pioniergeist und Wagemut ließ sich auch John nicht nehmen. Leid hatte er schon während der Hamburger Cholera-Epidemie sechs Jahre zuvor kennengelernt. Im Elternhaus am 1sten Vorsetzen Nr. 4, Ecke Stubbenhuk, starben drei Mitbewohner. Als Lehrling begann Rabe in einer Export-Agentur am Alten Wall 36. Börsenstand, Pfeiler 1. 1903 vernahm er den Lockruf der großen, weiten Handelswelt und nahm das Jobangebot einer Hamburger Kaufmannsfiliale in der portugiesischen Kolonie Mosambik an. Als die Firma pleiteging, wechselte er in ein englisches Kontor, dessen Geschäfte sich um Petroleum und Dynamit drehten. Wegen einer Malaria-Erkrankung musste John Rabe 1906 aber heim nach Hamburg.

Tafel zum Gedenken an John Rabe

Von Fernweh getrieben, reiste er wenige Monate später mit der Transsibirischen Eisenbahn nach China, um als Kaufmann in einem deutschsprachigen Unternehmen in Peking anzuheuern. Der Hochzeit mit Jugendfreundin Dora in Shanghai folgte 1911 eine Anstellung in der Siemens-Niederlassung. Auch als China Deutschland 1917 den Krieg erklärte, blieb John Rabe während des Ersten Weltkrieges vor Ort. Danach ausgewiesen, kehrte er 1920 via Japan heimlich zurück, um das Siemens-Büro neu aufzubauen - unter dem Decknamen Yü Fong Co. Nach Hitlers Machtergreifung trat John Rabe in der Ferne der NSDAP bei. Angeblich, um den Betrieb einer deutschen Schule auf seinem Grundstück in der damaligen Hauptstadt Nanking zu erleichtern.

Dort kam es 1937 zu menschlichen Gräueln unfassbaren Ausmaßes: dem Massaker von Nanking, das bis heute die chinesisch-japanischen Beziehungen belastet. Am 7. Juli 1937 marschierten die Japaner ein. Rabe schickte seine Familie zurück nach Deutschland, lehnte aber selbst eine Heimkehr ab. Nach der Besetzung Nankings durch die Japaner übernahm der Hamburger die Leitung eines Internationalen Ausschusses in der Stadt. Aufgabe: Einrichtung einer Sicherheitszone für die Bevölkerung. Dort fanden rund 250 000 Chinesen halbwegs Schutz. Ähnlich viele Menschen, vielleicht noch weit mehr, wurden von den Besatzern ermordet.

Vor dem Hakenkreuz am Revers oder Ärmel hatten die mit Deutschland verbündeten Japaner Respekt. Mit riesigen Tüchern mit dem gleichen Zeichen verhinderte Rabe erfolgreich Bombardements des Areals. Hinterbliebene berichteten später, dass sich der Deutsche couragiert vor die Flüchtlinge stellte, ihnen selbst sein Haus öffnete, sein gesamtes Geld für Reis ausgab, mehrfach in Lebensgefahr geriet. Im Februar 1938 reiste er mit dem britischen Kanonenboot "Bee" nach Shanghai. Von dort ging es zurück in die Heimat. Seine Dokumentation und Filme über die Grausamkeiten stießen dort auf kein Interesse. Im Gegenteil. Deutschland und Japan waren alliiert; China galt als gemeinsamer Gegner.

Rabe wurde festgenommen und von der Gestapo verhört. Die Tagebücher durfte er behalten, das Filmmaterial wurde konfisziert. Bis Kriegsende konnte er weiter für Siemens arbeiten. Nach dem Zusammenbruch musste Rabe Schwerstarbeit für die Sowjets leisten. Für NSDAP-Mitglieder aus dem Ausland, als Überzeugungstäter eingestuft, gab es anfangs keine Gnade. Nach Problemen gelang ihm die Entnazifizierung. Am 5. Januar 1950 starb der Held von Nanking in Berlin nach einem Schlaganfall.

Von seinem humanitären Handeln wurde auch dank chinesischer Quellen immer mehr bekannt. Orden und ein Ehrengrab würdigen einen Mann, der selten den einfachen Weg ging. In Heidelberg lenkt Enkel Thomas Rabe das John-Rabe-Kommunikationszentrum.

2009 stiftete China eine Bronzebüste für Rabes Ruhestätte in Berlin. Jetzt folgt die Gedenktafel am Baumwall. Nicht nur in Hamburg wäre John Rabe fast in Vergessenheit geraten.