Stundenlanges wortkarges Warten am Wasser, um am Ende doch keinen Fisch zu fangen. Versteh' einer den Angler, das unbekannte Wesen. Selbsterklärung eines Betroffenen.

Hamburg. Die Leute glauben, wir angeln, um Fische zu fangen. Sie verstehen uns nicht. Sie haben gar nichts verstanden.

Ich jedenfalls will keine Fische fangen. Man stellt sich nicht stundenlang an einen Fluss, man übernachtet nicht tagelang an einem See, man kämpft nicht einen endlosen Tag auf See gegen den Brechreiz an, um Fische zu fangen. Man macht das, um meistens keine Fische zu fangen. Das ist der tiefere Sinn der Sache.

Meistens keine Fische zu fangen - darin liegt der Reiz, das höchste Glück, das nur noch vom Glück übertroffen wird, ab und zu mal einen Fisch zu fangen. Wer Fische nach Hause tragen will, geht zur Nordsee oder zu Reichelt um die Ecke. Zum Angeln aber geht der, der Fische nach Hause tragen möchte, nicht. Wir Fischer scheitern meistens, und wir scheitern gern. Im Fischen findet das Scheitern seinen höchsten Ausdruck. Denn nur wenn wir neunmal gescheitert sind, können wir einmal auch ein überglücklicher Mensch sein.

Dies soll der Versuch sein, zu erklären, warum hierzulande mehr als drei Millionen Männer an einem See oder einem Fluss stehen und Löcher in die Wasseroberfläche starren. Stundenlang, tagelang. Und warum das die übrigen 77 Millionen Menschen in diesem Land nicht verstehen. Wir müssen den anderen klarmachen: Wir sind vielleicht ein bisschen verrückt, aber im Grunde sind wir ganz nett.

Das Problem beginnt bei der Anmutung. Unsereins steht manchmal in Kleidungsstücken am See oder am Fluss, bei denen andere zögern würden, sie in einen Altkleidercontainer zu werfen, weil auch Mitmenschen, die auf diese Spenden angewiesen sind, ein Recht auf einen Rest an Menschenwürde haben. So stehen wir dann da, den Kopf tief zwischen den Schultern versenkt, die Kapuze eines alten Bundeswehrparkas über das Haupt gezogen, den Blick aufs Wasser geheftet.

Nur ganz Unerschrockene wagen die Frage: "Na, beißt was?"

Eine nette Frage eigentlich, aber nur dann, wenn sie an ein normales Sozialwesen gerichtet wird, nicht an einen durchschnittlichen Angler. Der dreht sich um, blickt mürrisch und stößt im besten Fall eine einsilbige Ansammlung von Konsonanten aus, die sich wie "Mrrff" anhört und dem Knurren eines Rottweilers ähnelt.

Warum verlässt einer freiwillig um Mitternacht eine gute Party?

Es gibt zu viel Unwissenheit auf beiden Seiten und zu wenig Bemühen. Der Putin tut es, der Bush junior, Dick Cheney, die Wepper-Brüder, Miro Klose, Eric Clapton? Bei Willy Brandt streiten sich die Söhne, ob er es wirklich getan hat. Ich meine, man muss jetzt nicht jeden Einzelnen mögen, aber das sind doch Kronzeugen unserer Sache. Warum erklären wir uns nicht, selbstbewusst und frank und frei und stehen stattdessen irgendwie verklemmt und verdruckst am Wasser? Warum sagt keiner: Ich bin Angler, und?

Es muss dringend was gegen diese interkulturelle Kluft getan werden. Normale Menschen müssen verstehen lernen, warum wir eine Party um zwölf verlassen, weil der Wetterwechsel für den nächsten Morgen um halb fünf am See gute Aussicht auf einen Fisch verspricht. Sie müssen verstehen lernen, warum es ein existenzielles Erlebnis ist, den Biss einer Schleie in klarem Wasser mitzuerleben, die in nervenzehrenden Runden um unseren Köder kreist, wieder und wieder, zweimal wegschwimmt, wiederkommt und den Cocktail aus Mais und Mistwurm dann doch endlich einsaugt, ganz langsam.

Man kann diese Erfahrung durch nichts ersetzen. Man kann nur bedingt beschreiben, was passiert, wenn sich der Schwimmer zitternd in Bewegung setzt und langsam abtaucht, die Schnur in Ringen von der Rolle gezogen wird. Es ist ein Kick, der nur wenigem gleichkommt. Und das lange Warten auf diesen Moment macht ihn erst zu einem großen Moment. Man könnte auch in eine Forellenzucht gehen, auswerfen und postwendend den ersten Fisch anlanden. Aber das ist es nicht. Das Glücksgefühl, der Kick, stellt sich nur ein, wenn man vorher das lange Darben und Warten hinter sich gebracht hat. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Es geht nicht anders. Das ist der Kick, das ist der Sex an der Sache.

Einer britischen Umfrage zufolge haben sich zwei Drittel der befragten Angler auf die Frage: Lieber einen großen Lachs an der Angel oder ein Supermodel im Bett? für den Lachs entschieden. So ein Lachs ist im Grunde auch viel erotischer als so ein makelloses Supermodel. Er hat eigentlich gar keine Lust auf etwas zu fressen, wenn er die Flüsse hinaufzieht, und will nach allen Regeln der Kunst verführt werden, der Lachs, und hat er dann aber erst mal angebissen, dann geht es voll ab. Hinterher ist man völlig erschöpft, aber unendlich glücklich und befriedigt.

Natürlich kann ich mich an das erste Mal erinnern. Jeder Mann kann sich an das erste Mal erinnern. Das erste Mal, ich war gerade sieben geworden, tat ich es mit einer zartgrünen Vollglassteckrute. Mein Vater hatte das an Jahren ehrwürdige Stück von einem Kollegen geschenkt bekommen. An dieser hellgrünen Rute ruckte und zuckte meine erste Forelle. Der besagte Kollege hatte meinem Vater erlaubt, an seiner Forellenstrecke zu fischen, und wie es sich für einen siebenjährigen Jungen gehört, habe ich ihn bewundert, wie er den ersten Fisch fing. Den zweiten hat er generös mir überlassen.

Dieses Erlebnis hat mich nie wieder losgelassen.

Mir dämmerte schon damals, ohne es artikulieren zu können: Angeln ist praktische Philosophie. Angeln ist Kontemplation und Stress, Angeln ist Ruhe und Kick, Angeln ist Auf und Ab. Angeln ist mit einem Wort: das Leben. Henry David Thoreau hat in seinem philosophischen Bericht "Walden" über seine zwei Lebensjahre an einem Waldsee viele Sätze von ewiger Schönheit geschrieben. Einer der schönsten aber ist die Metapher, die Zeit sei "nur ein Fluss, in dem ich angeln gehe".

Was die unterschiedlichen Angler-Typen trennt und eint

Im Grunde steckt in jedem von uns der staunende Archetypus des Anglers, der Gelegenheitsangler. Der Gelegenheitsangler ist der liebenswert unverdorbene Angler, in dem die Sehnsucht wohnt, der noch nicht gelangweilt ist von einem Vier-Pfund-Hecht und deshalb auf die Malediven oder nach Mexiko fahren muss.

Die Gegenfigur zum Gelegenheitsangler ist der Wettkampffischer. Er versteht beim Angeln keinen Spaß, und Fische sind ihm nichts weiter als eine glitzernde Masse, von der er so viel wie möglich in seinen meterlangen Setzkescher stopfen will, den er dann zur Wiegestelle trägt, um sie hinterher wieder in den Fluss zu kippen.

Der Primat des Leistungsgedankens verbindet den Wettkampffischer mit seinem Kollegen, dem industriellen Angler. Er tritt in Rotten von vier bis sechs Mann auf und fährt einmal im Jahr mit einem Kleintransporter nach Norwegen. Er plant die Anreise dabei so, dass er noch am Abend des Anreisetages die erste Ausfahrt mit dem Boot machen kann, um keine Zeit zu verlieren. Man ist nicht zum Spaß hier, 40 Kilo Filet pro Kopf sind das Ziel.

Ohne größere Reisen kommt auch der Großwildjäger nicht an sein Ziel. Er könnte zwar an seinem heimischen Baggersee einmal ausprobieren, was es bedeutet, an einer ganz feinen Schnur einen 15-Pfund-Karpfen davon abzubringen unter eine überhängende Weide zu flüchten, und hätte dabei den größten Sport der Welt. Aber Fische, die ihn an Körperlänge nicht übertreffen, langweilen den Großwildjäger schon sehr lange. Für ihn fangen Fische bei zwei Metern Länge und 100 Kilo Lebendgewicht an.

Nur der Schönheit und nicht der schieren Menge oder Größe hat sich der Ästhet verschrieben. Der Ästhet schwingt seine Fliegenrute wie eine große Peitsche über dem Kopf, er hat ein Bastkörbchen an seiner rechten Hüfte hängen, und ein Kescher aus Weidenholz schwimmt neben ihm an seiner linken Hüfte. Die Wathose ist aus dunkelgrünem Neopren, der Ästhet steht in einem reißenden Gebirgsbach unterhalb eines kleinen Wasserfalls, in seinem Blickfeld türmen sich die Dreitausender. 1500 Euro hat der Ästhet für die Tageskarte an diesem Bach bezahlt, dafür hat er sich verpflichtet, keine Widerhaken an seinen Fliegen zu verwenden. Der Ästhet stellt die Schönheit über den Erfolg, und deshalb hat er auch meist keinen.

Für den Ästheten hat der Pragmatiker nur mehr ein müdes Lächeln übrig. Der Pragmatiker möchte das Gewässer mit Fischen im Rucksack verlassen, und dafür ist er gewillt, alles zu tun. Zunächst einmal geht er nach der Methode vor, dass der Köder kein Kunstwerk aus Rehhaar und Perlhuhnbrustflaum sein muss. Der Pragmatiker fischt mit Würmern, Dosenwurst und Mais, nicht mit Kunstfliegen. Zu Vorschriften und Schonzeiten hat der Pragmatiker ein geschmeidiges Verhältnis. Er ist grundsätzlich für mehr Deregulierung auch am Fischwasser. Für die Angelgeräteindustrie ist der Pragmatiker ein Problem, weil er der Glitzerwelt ihrer Produkte gegenüber wiederum ein gesundes Misstrauen entgegenbringt.

Dem Pragmatiker steht der Materialfetischist gegenüber. Der Materialfetischist geht mit einer Ausrüstung ans Wasser in einem Wert, für den sich andere Menschen einen neuen Kleinwagen zulegen. Die Ruten, zwei bis drei gleicher Bauart, ruhen beim Materialfetischisten in einem Rutenhalter, der aussieht wie ein Hightech-Skiträger fürs Auto. Der ferngesteuerte Katamaran, mit dem Futter wie Köder weit auf den See hinausgefahren werden, darf ebenso wenig fehlen wie das Schlauchboot, in das sich der Materialfetischist nach dem Biss begibt, um auf dem offenen See seinen Kampf mit dem Karpfen auszukosten.

Angler sind, nun ja, nicht per se sexy. Die meisten Frauen haben ein Problem damit, dass jemand mit bloßen Händen einen Tauwurm oder einen Wattwurm auf einen Haken aufzieht und sie hinterher mit den gleichen Händen anfassen möchte, gewaschen hin oder her. Sie brauchen eine Weile, um zu begreifen, dass Hände, die ein 16er-Häkchen an eine 0,10er-Schnur binden können, feinmotorische Fähigkeiten bieten, die auch bei anderen Gelegenheiten von Vorteil sein können.

Aber der Angler bleibt der Mann für den zweiten Blick, bestenfalls. Ich glaube, was den Frauen am Fischen missfällt, ist neben der einen oder anderen unappetitlichen Begleiterscheinung die Ungewissheit. Denn Angeln ist nicht planbar, sondern eine Tätigkeit mit tausend Unbekannten. Das fängt beim Einkauf an. Soll man nun etwas fürs Abendessen besorgen, oder kann man damit rechnen, dass es nach dem Angelausflug Fisch gibt?

Der Fischer und die Frauen

Oder die Tagesplanung im Urlaub. Im Prinzip geht es nur um drei Stunden netto am Wasser, die wir uns ausbedingen. Aber diese drei Stunden bestimmen dann den Ablauf des ganzen Tages. So kommt es zu fundamentalen Wahrnehmungsunterschieden. "Den ganzen Urlaub geht es nur um dein Scheiß-Angeln", sagt sie. "Jetzt bin ich einmal in diesem herrlichen Angelland und komme nie zum Angeln", denke ich mehr, als ich es laut zu sagen wage. Das Schlimme ist: Wir haben beide recht.

Oder die unterschiedlichen Vorstellungen davon, wofür ein Kühlschrank gut ist. Die Biofresh-Zone ist ein Wunder der Technik. Legt man etwa einen Salatkopf in dieses etwas über null Grad kalte Fach im Kühlschrank, so scheint das Blattwerk mit jedem Tag, der vergeht, noch frischer und knackiger zu werden.

Aber seine ganze Klasse spielt das Biofresh-Fach erst bei Fleischmaden aus. Diese Maden, die aus Eiern schlüpfen, die Fliegen in Aas legen, sind ein unschlagbarer Köder für Weißfische, und die wiederum braucht der Raubfischangler, wenn er Hechten, Barschen oder Zandern nachstellen möchte. Früher, vor dem Biofresh-Fach, dauerte es nur wenige Tage, bis sich die Maden in ihrem Sägemehl in der Plastikschale verpuppten und sich als Köder nicht mehr eigneten.

Meine Frau teilt grundsätzlich meine Begeisterung für das Biofresh-Fach, nicht aber als Frischhaltelager für Fleischmaden. Der ein oder andere Vorfall hat die Fronten etwas verhärten lassen. Man muss nämlich wissen, dass die Plastikschalen, in denen die Maden verkauft werden, nicht eben für die Ewigkeit gemacht sind. Als meine Frau das erste Mal die Maden auf Wanderschaft im Biofresh-Fach entdeckte, kühlte sich ihr Ton ungefähr auf die Temperatur jenes Faches ab.

Und doch lagere ich meine Maden bis heute im Biofresh-Fach unseres gemeinsamen Kühlschranks. Ich weiß, dass sie nur so tut, als habe sie die Viecher nicht längst wieder entdeckt, und ich weiß, dass das Liebe sein muss, so tapfer wegzuschauen.

Der Autor, 44, ist stellvertretender Leiter des Berliner Parlamentsbüros vom "Spiegel"-Magazin. Sein neues Buch über die Liebe zum Angeln "Das Glück am Haken" erscheint im Droemer Verlag.