Der Tidenhub ist mittlerweile zu extrem, glaubt Heinz Glindemann. Schuld daran sei der Mensch

Heinz Glindemann ist Erster Baudirektor bei der Hamburg Port Authority und lehrt an der TU Hamburg-Harburg. Der 63-jährige Ingenieur wuchs an der Elbmündung in Brunsbüttel auf.

Abendblatt:

Die Nordsee ist gut 100 Kilometer von Hamburg entfernt. Warum merkt man in der Stadt trotzdem Ebbe und Flut?

Heinz Glindemann:

Die Elbe ist in Hamburg über das Wasser mit der Nordsee verbunden. Die Tidewelle schwappt daher bis zum Wehr in Geesthacht und erreicht uns zweimal am Tag.

Wie entsteht die Flutwelle?

Der Impuls kommt durch die Anziehungskraft der Sonne und vor allem des Mondes. Das Meer bewegt sich, die Flutwellen drehen sich um bestimmte Punkte. Ein solcher Punkt liegt bei Borkum - von dort bewegt sich die Flutwelle dann Richtung Cuxhaven und in die Elbe hinein.

Was hat in der Elbe die Oberhand: das Meerwasser oder das Flusswasser aus der Elbquelle?

Eindeutig das Tidewasser. Dies entspricht in etwa der 20-fachen Menge des eigentlichen Oberwassers, kann aber variieren: In trockenen Sommern fließen 200 Kubikmeter pro Sekunde von der Oberelbe an Hamburg vorbei, im Durchschnitt sind es etwa 800.

Wann ist die Strömung am stärksten?

In den ersten beiden Stunden der Flut.

Und wie groß ist der Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser?

In Hamburg sind es mittlerweile 3,60 Meter, man nennt diese Differenz auch den Tidenhub.

Warum sagen Sie mittlerweile?

Weil sich das in den vergangenen Jahrzehnten sehr verändert hat. Noch 1870 lag der Tidenhub in Hamburg bei nur 1,70 Metern.

Woher kommt diese Veränderung?

Der Fluss wurde mit den Jahren zu einer Art Kanal, die Überflutungsflächen von früher fehlen, und Nebenarme wurden abgesperrt. Dadurch drängt sich mehr Wasser im Hauptstrom, der sich dann bei Flut höher aufsteilt.

Sind bei Sturmfluten die Deiche denn noch sicher?

Ja, bei dem neuen Schutzprogramm wurden mögliche Folgen eines Klimawandels weitgehend mit einberechnet.

Kann man den Strom nicht wieder besänftigen?

Nur in kleinen Schritten. In der Norderelbe bei Kreetsand fängt Hamburg mit Rückdeichungen an. Dieses Pilotprojekt könnte den Tidenhub vielleicht um drei Zentimeter senken.