Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt über den kuriosesten und spannendsten Fall der Woche.

Opfer und Täter, gut und böse: Häufig sind sie klar definiert, die Rollen, die Beteiligte in einem Strafprozess innehaben. Doch es gibt andere, die dieses Schema sprengen. So wie Kenneth S. Er ist Opfer, aber wahrlich kein unbescholtener Mann. Sondern auch ein Täter, ein mehrfach verurteilter Betrüger. Und hat wahrscheinlich sogar ein Menschenleben auf dem Gewissen.

Deswegen sitzt Kenneth S. zurzeit in Schleswig-Holstein wegen Totschlagverdachts in Untersuchungshaft - weil er einen Pferdehändler mit vier Schüssen getötet haben soll. Und deswegen wird der 34-Jährige jetzt nicht als freier Mann, sondern in Handschellen in den Prozess vor dem Hamburger Schöffengericht geführt, wo er eine Aussage machen soll. Über eine Tat, bei der er das Opfer war.

Acht Jahre ist das mittlerweile her. Damals, als Kenneth S. auf zwei junge, begeisterungsfähige Männer traf. Männer, für die die Wörter "Diskothek" und "Promis" mit einem nahezu unwiderstehlichen Reiz verbunden waren. Eine Beteiligung an einer Edeldisco mit erlauchtem Publikum - das schien so ganz ein Geschäft nach dem Geschmack von Ali D. und Mehmet I. Und so waren die damals 32 und 24 Jahre alten Männer Feuer und Flamme für die Idee von Kenneth S., sich finanziell an einem Projekt des schönen Scheins und schnellen Beats zu beteiligen.

Doch die Sache scheiterte, gründlich sogar. Am Ende standen Ali D. und Mehmet I. nicht nur mit finanziellen Verlusten da - und jeder Menge zerstörter Illusionen. Sondern auch mit einer Anklage wegen schweren Raubes, gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung. Den beiden Männern wird vor Gericht vorgeworfen, ihrem ehemaligen Geschäftspartner aufgelauert und einen BMW Z 3 von ihm erpresst zu haben.

Dabei haben sie ihr Opfer laut Anklage mit Holzknüppeln geschlagen und mit einer Schusswaffe bedroht. Damals, vor acht Jahren. Bevor Kenneth S. im Ausland untertauchte, jahrelang unauffindbar für die Ermittlungsbehörden. Bis er vor fast einem Jahr schließlich verhaftet wurde, wegen des gewaltsamen Todes des Pferdehändlers.

Dieser Vorwurf wird jetzt im Prozess vor dem Hamburger Schöffengericht jedoch nicht erörtert. Hier ist Kenneth S. das Opfer, das seine Zeugenrolle zu genießen scheint. Dessen Eloquenz erahnen lässt, wie er einst andere für seine Pläne mitriss. Wortreich schildert der Mann mit dem jungenhaften Gesicht und dem legeren Shirt seine Version der Tat. Die beiden Angeklagten seien ausgezahlt worden, sagt er. Und plötzlich hätten sie ihm aufgelauert, ihn bedrängt, das Auto herauszugeben, ihn mit Holzknüppeln verprügelt.

Ali D. habe ihm die Schusswaffe auf die Brust gedrückt, sagt der 34-Jährige. "Er drohte, mich abzuknallen. Ich hatte ohne Ende Angst."

Einem früheren Geschäftspartner hatte Kenneth S. seinerzeit sogar erzählt, die Angeklagten hätten ihm "eine Handgranate in den Mund geschoben", erinnert sich der Geschäftspartner heute als Zeuge. "Aber so wie ich ihn kannte, wusste ich: Wenn nur die Hälfte wahr ist, ist es viel." Mit der Seriosität von Kenneth S. sei es nicht weit her. "Er verheizt das Geld, das anderen gehört. Ich habe gut verstanden, dass Leute sauer auf ihn sind", sagt der frühere Geschäftspartner.

Sauer waren auch die jetzt Angeklagten. Nachdem sie in die Diskothek investiert hatten. Und nachdem sich das Projekt als Pleite erwiesen hatte. "Ich war begeistert, in die Szene einzutauchen", erzählt Mehmet I. über die Zeit, als Kenneth S. für eine Beteiligung an der Diskothek geworben hatte. Es sei 2001 vereinbart worden, dass er mit 65 000 Mark in das Projekt einsteigt, zahlbar in bar und zudem mit seinem BMW Z 3.

Auch Ali D. war finanziell an dem Projekt beteiligt. Doch schließlich kam das böse Erwachen. Die Diskothek, die Kenneth S. als wahre Goldgrube anpries, hatte nicht einmal eine Konzession und wurde nach der Eröffnungsfeier schon wieder geschlossen. Für immer.

"Mir lief es eiskalt den Rücken runter", schildert Mehmet I. "Ich wollte wenigstens mit einem blauen Auge davonkommen und meinen BMW wiederhaben." Also habe er gemeinsam mit Ali D. seinen damaligen Geschäftspartner Kenneth S. "gedrängt, das Auto herauszugeben". Ohne Gewalt, nur mit Worten, sagt er. Und der Mitangeklagte bestätigt: "Wir waren nicht gerade leise, aber auch nicht handgreiflich." Am Ende räumen sie jedoch eine Ohrfeige ein, die ein unbeteiligter Zeuge bekundet hatte.

Und so erscheint die Tat jetzt in deutlich milderem Licht. Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht sind sich im Prozess einig, dass nunmehr lediglich eine einfache Körperverletzung und eine versuchte Nötigung vorliegen. Am Ende verurteilt das Schöffengericht Ali D. und Mehmet I. zu Geldstrafen von je 2250 Euro (90 Tagessätze á 25 Euro).

Das Schlimmste haben sie ohnehin lange hinter sich: Die schlechte Erfahrung, die sie gemacht haben. Und das viele Lehrgeld, das sie zahlen mussten. Kenneth S. wird unterdessen zurück in eine Zelle geführt. Möglicherweise seine Unterkunft für die nächsten Jahre.