Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt über den kuriosesten und spannendsten Fall der Woche.

Die eigentlich Schuldige ist untergetaucht. Hat sich längst irgendwo verkrochen, leichtfüßig, flink, unauffindbar in irgendeinem dunklen Winkel. Und bleibt deshalb unbehelligt. Pfui Spinne! Alles wäre anders gelaufen an jenem Oktobertag, vermutlich vollkommen reibungslos, wenn dieses achtbeinige Viech sich da nicht plötzlich hätte blicken lassen - an einem Faden baumelnd vor dem Gesicht einer betagten Autofahrerin.

Doch so brachte das Spinnentier die 87-Jährige für einen Augenblick aus der Fassung, auf Kollisionskurs mit einem anderen Wagen - und letztlich vor Gericht.

Rosemarie F. macht eigentlich nicht den Eindruck, als sei sie leicht aus der Bahn zu werfen. Energisch wirkt sie und selbstbewusst, dazu kerzengerade trotz ihres fortgeschrittenen Alters, agil und eloquent. Und so spult sie gleichsam ihre Sicht der Dinge ab, wie es damals zu einem Verkehrsunfall kam, bei dem sie mit ihrem Auto einen parkenden Wagen touchierte und so rund 4000 Euro Sachschaden verursachte. Und dass sie nicht im Traum daran gedacht habe, Unfallflucht zu begehen. Doch dieses Vergehen wirft ihr die Staatsanwaltschaft vor.

Die folgenreiche Situation sei "dadurch entstanden, dass mir eine Spinne ins Gesicht fiel", erklärt die schlanke, in konservativem Schick gekleidete Angeklagte. "Da habe ich den Kopf geschüttelt und dabei das Steuer verrissen. Da hat es gekracht." Sie habe angehalten und habe sich zwei Fahrzeuge angeschaut, "aber nichts gesehen. Ich habe wohl nicht gründlich genug geguckt", sieht Rosemarie F. heute ein.

Sie habe nur wahrgenommen, dass der Außenspiegel ihres Wagens zurückgeklappt war. "Gott sei Dank nur der Spiegel", habe sie gedacht und deshalb ihren Weg fortgesetzt. Erst Stunden später am Abend, als sie eine Bekannte mitnehmen wollte und diese feststellte, dass die Beifahrertür klemmte, habe sie gründlicher hingesehen und entdeckt, dass der Kotflügel beschädigt und ein Reifen platt war. "Ich dachte noch: Oh je, da muss ich die Polizei verständigen." Doch als sie dann mit dem Taxi nach Hause gefahren war und endlich bei den Beamten anrufen wollte, "da stand die Polizei schon vor der Tür".

"Da muss doch, als es krachte, irgendeine erhebliche Kraft auf den Außenspiegel gewirkt haben. Und es muss Ihnen klar gewesen sein, dass nicht die Spinne den Schaden verursacht hat, sondern andere Kräfte auf den Außenspiegel gewirkt haben", bemerkt der Amtsrichter trocken und verweist auf Fotos, die einen erheblichen Schaden am Auto der Angeklagten dokumentieren. "Da muss man dann auch mal ein paar Schritte gehen, um der Sache auf den Grund zu kommen. Aber die Suche nach dem Gegner geben Sie auf." Die Rentnerin nickt betreten. Für sie seien die Bilder von ihrem beschädigten Auto auch eine "Dokumentation optischer Täuschung", meint sie. "Als ich die Fotos sah, dachte ich: Ist das wirklich derselbe Wagen?" In der Tat habe die "Ästhetik des Autos gelitten", bestätigt der Richter.

Ein "Augenblicksversagen", das die Angeklagte ja auch einräume und bereue, nennt der Verteidiger das Fehlverhalten seiner Mandantin und erklärt ihr eigentliches Anliegen vor Gericht. Natürlich sei eine Geldstrafe angemessen, jedoch sei es ihr wichtig, den Führerschein, der seit dem Unfall eingezogen ist, möglichst bald zurückzuerhalten. "Sie hat den Sachschaden auch reguliert und sich bei dem Besitzer des Wagens entschuldigt." Sie fahre ja auch nicht "aus Jux und Dollerei Auto", ergänzt Rosemarie F.

Sie benötige den Wagen für ihre freiberufliche Tätigkeit, die sie nach wie vor ausübe, sowie für regelmäßige Arztbesuche. "Ein Härtefall", bringt es der Anwalt auf den Punkt und bittet darum, "Gnade vor Recht ergehen zu lassen".

Schließlich erkennt der Richter auf eine Geldstrafe von 1000 Euro, der Führerschein solle noch drei Monate eingezogen bleiben, entscheidet er. Eine geringere Sperrfrist lässt das Gesetz nicht zu. "Sie haben nach dem Unfall die Augen bewusst vor dem Schaden verschlossen", ist der Richter überzeugt.

Wer Unfallflucht begehe, zeige ein charakterliches Fehlverhalten und dürfe zumindest vorübergehend nicht am Straßenverkehr teilnehmen. Deshalb seien die Führerscheinsperre und die damit verbundene Einschränkung "zugleich eine Mahnung nachzudenken. Manche Dinge lernt man erst richtig schätzen, wenn man sie nicht mehr hat."