Es sind ebenso kuriose wie spannende Fälle, die Bettina Mittelacher in ihrer Gerichtskolumne beschreibt. Es geht um kaum beachtete, aber interessante Prozesse vor dem Amts- und Landgericht.

Diese lebhaften Gesten. Diese Worte, die wie ein Wasserfall aus ihrem Mund rauschen. Dieses Temperament. So wie Tanja K. dasitzt, wie zum Sprung bereit, diese quirlige Erscheinung, ist es leicht vorstellbar, dass sie auch sonst im Leben auf die Tube drückt. Auch im Straßenverkehr und erst recht, wenn ihr etwas nicht schnell genug geht. So wie damals, am Ende einer Tempo-30-Zone in Hamburgs Westen, als der Wagen vor ihr nicht zügig genug beschleunigte. "Da habe ich dann voll auf die Hupe gedrückt", erzählt die 30-Jährige vor dem Amtsgericht. "Weil - wozu ist die Hupe da?" "Das kann ich Ihnen sagen", entgegnet trocken der Richter: "Zur Gefahrenabwehr. Und nicht etwa als Ersatzwecker." Einen winzigen Augenblick nur scheint dieser Einwand die aparte junge Frau aus dem Takt zu bringen. Doch ruck, zuck nimmt sie wieder Fahrt auf zur Schilderung ihrer Sicht der Dinge, die sie zur Angeklagten werden ließen. Laut Staatsanwaltschaft hat Tanja K. im Juni am Steuer ihres Geländewagens das Auto vor ihr bedrängt.

Als der Fahrer anhielt und ausstieg, um sie zur Rede zu stellen, soll sie ihn mit dem Außenspiegel verletzt, seinen Fuß überrollt haben und schließlich vom Unfallort davongebraust sein. "Natürlich möchte ich zu den Vorwürfen etwas sagen. Ich möchte ja auch meinen Führerschein mal wiederhaben", sagt die Lagerarbeiterin. Sie habe sich geärgert, weil der Wagen vor ihr auch nach der Tempo-30-Zone nicht beschleunigt habe. "Und dann ist er auch ausgeschert und hat sich richtig quer auf die Fahrspur gestellt", empört sie sich. "Dann sind der Mann und seine Beifahrerin ausgestiegen und beide mit erhobenen Händen auf mich zu. Da bin ich in Panik nach Hause gefahren. Ich hatte voll Angst."

Später habe sie sich bei der Polizei melden wollen, "aber da war die Polizei schon bei mir. Es war ein Fehler, dass ich weggefahren bin. Ich habe einfach rotgesehen. Ich werde so etwas auch nicht wieder tun." Sie habe ja in den Monaten seit dem Vorfall, seit ihr Führerschein eingezogen wurde, mit Bus und Bahn unterwegs sein müssen, erzählt Tanja K. "Da habe ich echt gelitten", meint sie und wischt sich mit einer raschen, ärgerlichen Handbewegung Tränen aus den Augen. Doch gelitten hat erst recht jener Mann, mit dem sie damals die Konfrontation hatte. Als die 30-Jährige nämlich mit ihrem schweren Geländewagen über seinen Fuß gefahren sei. "Und den Außenspiegel habe ich in die Rippen bekommen", erzählt Narenko D. "Davon hatte ich wochenlang Schmerzen." Schon etwa einen Kilometer vor dem Zusammenprall sei ihm der Wagen von Tanja K. aufgefallen. "Da war mehrfaches Hupen und ein permanentes Auffahren. Ich sah im Rückspiegel nur noch den schönen silbernen Kühlergrill", erinnert sich der Berufskraftfahrer. Er selbst habe gar nicht beschleunigen können, weil vor ihm "eine Oma" langsam gefahren sei. Schließlich habe er seinen Wagen quer gestellt, weil er die Dränglerin habe anzeigen wollen. "Und ich wollte nicht nur ein Kennzeichen anzeigen, sondern auch ein Gesicht dazu sehen." Deshalb sei er ausgestiegen. "Im nächsten Augenblick höre ich ihren Motor aufheulen, und sie hat mich auf den Kühler genommen."

Für die Staatsanwältin ist der Vorfall eine "Tat von einiger Schwere": Sie fordert eine achtmonatige Bewährungsstrafe. Der Verteidiger spricht von einer Situation, die der Zeuge "ausgenutzt hat, um Erziehungsmaßnahmen zu ergreifen. Er hat die Angeklagte getriezt. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um."

Auf eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu 30 Euro erkennt schließlich der Amtsrichter. Den Führerschein soll Tanja K. in fünf Monaten zurückbekommen.

"Sie haben Ihrem Vordermann Angst eingejagt und sich ein bisschen wie ein Verkehrsrowdy benommen", erklärt er. Davon, dass die 30-Jährige absichtlich auf den Zeugen zufuhr, sei er "nicht sicher überzeugt", betont der Richter. "Aber es ist zu einer Berührung gekommen, und Sie wissen, dass das zu Verletzungen führen kann. Sie hätten am Unfallort bleiben müssen." Die Angeklagte habe "ihren Beitrag zur Eskalation geleistet", sagt er und zitiert den Verteidiger, doch jetzt ist es auf die Angeklagte gemünzt: "Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um." Tanja K. zieht von dannen. Weinend - und diesmal langsam und bedächtig.